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Gondeln aus Glas

Gondeln aus Glas

Titel: Gondeln aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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der Begeisterung eines Kauflustigen, der sich nicht recht entscheiden konnte, weil das Angebot zu reichhaltig ist. «Der Pater hat alle möglichen Verletzungen, von denen jede einzelne tödlich gewesen sein könnte.»
    «Gibt es Abwehrverletzungen an den Händen?»

    «Nein.» Dr. Lionardo schüttelte den Kopf. «Aber die würden ohnehin nur zu sehen sein, wenn der Angreifer mit einem Messer auf den Pater losgegangen wäre.»
    «Dann könnte der Mörder», sagte Sergente Bossi,
    «ihn also mit einem stumpfen Gegenstand niedergeschlagen haben.»
    Bei den Worten stumpfer Gegenstand verdrehte Dr. Lionardo die Augen. «Könnte, hätte, würde.» Er blickte in die geschwärzte Kirchendecke über ihm und sagte dann, ohne Bossi anzusehen, zu Tron: «Der Mann ist aus zehn Metern Höhe auf die Altarstufen geknallt. Da lassen sich an seinem Körper keine Spuren von stumpfen Gegenständen mehr identifizieren.»
    «Und die Taschen?», erkundigte sich Tron. Es  hatte sich eingebürgert, dass Dr. Lionardo die Taschen der Toten untersuchte.
    «Nichts», sagte Dr. Lionardo. «Bis auf das hier.
    War in seinem Kittel.» Er reichte Tron einen zerknitterten Umschlag.
    Der Umschlag war leer, er enthielt nichts außer ein paar Farbkrümeln. Auf der Vorderseite standen zwei große, flüchtig mit Bleistift geschriebene Buchstaben, sie waren verwischt, aber noch deutlich zu erkennen. Plötzlich spürte Tron, wie sein Herz kräftig zu pochen begann. Großer Gott, natürlich! Er schüttelte den Kopf und wäre fast in Gelächter ausgebrochen. Sie hatten es übersehen – hatten eine ganz einfache Kombinationsmöglichkeit übersehen, so wie es vorkommen konnte, dass man auf der Suche nach einem verloren gegangenen Brief verzweifelt alle Fächer und Schubladen eines Zimmers durchwühlte, während er die ganze Zeit offen auf dem Tisch lag.
    Tron wandte sich an Bossi, der sich gerade mit Leidensmiene daranmachte, seine hölzerne Kamera in einen schwarzen Koffer zu verstauen. «Was halten Sie davon, Sergente?» Er gab Bossi den Umschlag.
    Der Sergente hielt sein Gesicht so dicht über den Umschlag, als würde er ihn ablecken. «Da sind zwei Buchstaben auf dem Umschlag», sagte er schließlich, nachdem er ihn lange betrachtet hatte. «Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen, Commissario.»
    «Auf etwas Offensichtliches.» Tron empfand eine völlig unpädagogische Befriedigung darüber, dass der Sergente ihm nicht folgen konnte. «Wir haben die beiden Buchstaben P T im Kalender von Kostolany als Pjotr Troubetzkoy gelesen.» Er machte eine Pause, um dem, was er jetzt sagen würde, den gebührenden Nachdruck zu verleihen. «In Wahrheit aber», sagte er, «stehen sie für Pater Terenzio.»
    Bossi ließ fast den großen Holzkasten fallen, in dem er die Gelatine-Trockenplatten verstauen wollte.
    Er sah Tron mit runden Augen an. «Wollen Sie damit sagen, dass Pater Terenzio an diesem Abend bei Kostolany gewesen ist?»
    Tron nickte. «Mir hat der Pater zwar versichert, dass er Kostolany nicht kenne, aber das war gelogen.
    Als Pater Terenzio von Orlow den Auftrag bekam, den Tizian zu kopieren, hat er zwei Dinge getan, von denen der Oberst nichts ahnte. Er hat eine zusätzliche Kopie angefertigt und Oberst Orlow nicht das Original und eine Kopie zurückgegeben, sondern zwei Kopien.»
    «Um das Original hier in Venedig an Kostolany zu verkaufen?»
    «Richtig», sagte Tron. «Eine Kopie hätte Kostolany sofort erkannt. Der Pater konnte Kostolany nur das Original verkaufen. Kostolany war das Bild dann aber zu heiß, und er hat es an den Großfürsten weitergegeben. Mit dem Ratschlag, das Gemälde erst mal auf Eis zu legen. Troubetzkoy hielt das Bild für eine Kopie.»
    «Und was ist passiert, als die Königin und Oberst Orlow nach Venedig kamen?»
    «Da hat Kostolany den Pater gebeten, nach dem Besuch der Königin in den Palazzo da Lezze zu kommen.»
    «Um was mit dem Pater zu besprechen?»
    Tron zuckte die Achseln. «Vielleicht wollte er ihn nur darüber informieren, dass die Königin die Absicht hatte, eine seiner Tizian-Kopien zu verkaufen.»
    Er machte eine Pause. Dann sagte er: «Nur hat er mit dieser Einladung sein Todesurteil unterschrieben.»
    «Wieso?»
    «Glauben Sie denn, Kostolany hätte den Tizian, den ihm die Königin angeboten hatte, gekauft? Ein Bild, von dem er wusste, dass es sich um eine Kopie handelte? Für den Preis eines Originals?»

    «Natürlich nicht.»
    «Und Kostolany», fuhr Tron fort, «hat der Königin schlecht sagen können,

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