Gondeln aus Glas
wird akzeptieren müssen, dass wir ihren Beitrag verkürzen. Wenn sie abspringt, können wir es nicht ändern.»
«Wie lange bleibst du im Palazzo Mocenigo?»
«Höchstens eine Stunde.» Tron erhob sich und griff nach seinem Zylinderhut. «Was gibt es?»
«Mousse au Chocolat.»
«Und anschließend?»
Die Principessa lächelte. «Sind wir für niemanden zu sprechen.»
23
In dem Moment, in dem Tron das Treppenhaus des Palazzo Mocenigo betrat, hörte er, wie die Musik einsetzte: erst die auftaktähnlichen Sekundenschritte in den ersten Takten der Mazurka, dann das Thema, das aus einer schlichten Melodie mit einer melancholischen Quart und ein paar abfallenden Kadenzen bestand.
Tron liebte Chopin, das geheimnisvoll Ver schleierte an ihm, das Engelhafte seiner Gestalt, die ihn immer an Shelley erinnerte. Und er liebte die virtuose Beiläufigkeit, mit der Konstancja Potocki seine Walzer und Nocturnes spielte – eine Beiläufigkeit, von der er wusste, dass sie das Resultat jahrelanger, harter Arbeit am Klavier war, zu der er sich leider nie hatte aufraffen können. Wie mochte es wohl sein, dachte Tron, das Leben mit einer Frau zu teilen, die so herrlich musizieren konnte wie die Potocki? Wie viel von diesem wunderbaren Talent blieb dabei an ihr hängen – persönlich? Was für ein Mensch mochte sie sein – ganz privat? War sie innig und einfühlsam wie die langsamen Sätze Beethovens oder eher (auch dies war denkbar) ein zickiger Migränetyp, mit der Neigung, an allem und jedem, auch an dem Gatten, ständig herumzunörgeln?
Und überhaupt – der Gatte. Der sah tatsächlich hin und wieder so aus, als würde er seine Häuslichkeit nicht ungern verlassen. Was trieb der eigentlich?
Im Gespräch jedenfalls hatte sich Potocki als solider Kenner des settecento erwiesen, und angeblich arbeitete er an einer kleinen Studie über Goldoni – oder gab ihm gegenüber nur damit an.
Wahrscheinlich, dachte Tron, litt der gute Potocki ein wenig unter der kränkenden Nebenrolle, in die er als Gatte einer berühmten Künstlerin unweigerlich gedrängt wurde. Manche Männer verkrafteten das nicht. Ob er Affären hatte? Das blieb in solchen Fällen kaum aus, und Tron konnte es sich gut vorstellen. Potocki, ein melancholischer Enkel Beau Brummels, kleidete sich mit ausgesuchtem Geschmack, sah blendend aus und bewegte sich mit einer Lässigkeit, die etwas vage Dekadentes hatte – alles das musste bei Frauen gut ankommen.
Im Übrigen mochte Tron ihn – vielleicht weil er selbst oft das Gefühl hatte, nur als Anhängsel der Principessa wahrgenommen zu werden. Ob auch er irgendwann eine Affäre haben würde? War dies ein tragisches Schicksal, das auch ihn früher oder später ereilen würde? War es denkbar, dass er eines rabenschwarzen Tages mit dem Gedanken spielen würde, sich Signorina Violetta zu nähern?
Tron rief erschrocken seine Gedanken zur Ordnung (manchmal verstand er nicht, was in seinem Kopf vor sich ging) und stieg weiter die Treppen empor, blieb dann aber noch einmal stehen, um mit angehaltenem Atem den letzten Takten der Mazurka zu lauschen. Hier, auf der letzten Notenreihe, wiederholten sich die Sekundenschritte des Anfangs, aber – obwohl es sich um die identische Tonfolge handelte – verwandelt, geläutert, ein desperater Wohlklang hauchdünner Klänge, ein Valet schmerzlicher Schönheit. Tron schloss die Augen und dachte: Chopin ist wie Champagner mit der Principessa.
Und dann dachte er, während ihn ein wohliger Schauer durchströmte: Ob wohl die Köchin bereits dabei war, die Mousse au Chocolat zu schlagen? Und ob es nicht besser wäre, die wohlschmeckende Süß speise nicht im Salon, sondern gleich in den inneren Gemächern der Principessa zu sich zu nehmen, was den Vorteil hätte, dass …
«Commissario?»
Ummppff! Tron riss die Augen auf und warf den Kopf herum.
Potocki stand ein paar Meter über Tron auf dem Treppenabsatz, der zur Belletage des Palazzo Mocenigo führte, und sah lächelnd auf ihn herab. Das Licht, das von der Seite auf ihn fiel, modellierte seine wohlgeformte Nase und ließ die Blume in seinem Knopfloch aufleuchten. Mit seinem Spazierstock aus geflammtem Bambus, dem flotten Strohhut und der frischen Blüte auf dem Revers sah Potocki ausgesprochen unternehmungslustig aus – ja, das war das Wort.
Tatendurstig wäre ebenfalls ein passendes Wort. Potocki hat eine Affäre, dachte Tron plötzlich. Und war sich ganz sicher. Irgendwo in dieser Stadt erwartete ihn eine Frau, die nie zu
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