Gondeln aus Glas
ihm gesagt hatte: Sind Sie nicht der Gatte der berühmten Konstancja Potocki?
«Konstancja erwartet Sie bereits», sagte Potocki.
«Ich werde», fuhr er fort, nachdem er ein paar Stufen herabgestiegen war und Tron die Hand gegeben hatte, «erst gegen zehn Uhr wieder zurück sein.» Potocki warf einen Blick auf seine goldene Repetieruhr und fügte, bevor er sich zum Gehen wandte, lä chelnd hinzu: «Das dürfte Zeit genug sein für Ihr Gespräch über das Programm.»
Heute war besonders auffällig, mit welcher Gelassenheit Potocki die regelmäßigen Besuche bei seiner Frau hinnahm. Was, dachte Tron, eine einfache Erklärung darin finden konnte, dass die Ehe zwischen den beiden stark erkaltet war und Potocki inzwischen andere Eisen im Feuer hatte.
Er stieg die letzten Stufen empor, betrat das Vestibül des Palazzo Mocenigo und wandte sich nach links. Wieder fiel ihm auf, dass es hier, im Gegensatz zum Palazzo Tron, keinen bröckelnden Putz gab, keinen von Rissen durchzogenen Terrazzo und keine Ameisenstraßen über vergoldete Putti und erblindete Spiegel. Dafür aber war das Vestibül des Palazzo Mocenigo auch nur ein größerer Flur mit einem billigen, neuen Terrazzofußboden und nackten Wandflächen, die durch ein paar dürftige Pilaster aus Stuckmarmor gegliedert waren. Die Potockis hatten den Palazzo Mocenigo von einer Bank gemietet.
Immer mehr Palazzi gerieten jetzt in die Hände von Banken, wurden lieblos renoviert und dann zu unverschämt hohen Preisen an Ausländer vermietet.
Eigentlich hatte Tron erwartet, einem der diversen Hausmädchen zu begegnen, aber heute war niemand zu sehen. Selbst die Haushälterin der Potockis, Anna Kinsky, eine junge Witwe und entfernte Verwandte der Familie, ließ sich nicht blicken. Kurz bevor Tron das Vestibül betreten hatte, waren hastige Schritte auf der Treppe zu hören gewesen, die zum Mezzaningeschoss führte, aber jetzt war alles still.
Auch die Klaviermusik hatte nicht wieder eingesetzt. Wahrscheinlich, vermutete Tron, wühlte Konstancja Potocki gerade in ihren Noten, um einen weiteren Programmpunkt für ihr Konzert im Palazzo Tron vorzuschlagen. Noch eine Berceuse, noch eine Ballade. Und die Balladen waren immer so lang. Für Konstancja Potocki war es ein richtiges Konzert, das im Palazzo Tron stattfinden sollte. Der Principessa und der Contessa hingegen ging es um das Vorprogramm. Tron bezweifelte, dass es leicht sein würde, Konstancja Potocki das zu erklären.
Und natürlich lag dies auch daran, musste Tron sich eingestehen, dass er viel zu lange gezögert hatte, Konstancja Potocki reinen Wein einzuschenken – vermutlich aus Furcht, sie würde abspringen. Und dann hätte er keinen Grund mehr gehabt, sie weiterhin einmal in der Woche zu besuchen, was jedoch erforderlich war, um die Principessa auf Konstancja Potocki eifersüchtig zu machen.
Tron blieb stehen und schloss die Augen. Was die Principessa wohl tragen würde – nachher im Palazzo Balbi-Valier? Vielleicht das neue Hauskleid aus schwarzer Rohseide, das er für sie (auf ihre Kosten) aus der Revue de la Mode bestellt hatte? Diesen Traum von einem Kleid, das auch einen diskreten Einschlag ins Gewagte hatte? Tron seufzte. In spätestens zwei Stunden würde er es wissen. Falls Konstancja Potocki ihn nicht schon nach fünf Minuten an die Luft setzte, nachdem er ihr erklärt hatte, worum es ging. Keine schlechte Aussicht eigentlich, dachte Tron. Vielleicht sollte er gleich hart zur Sache kommen – es kurz und schmerzlos machen. Er atmete tief ein und hielt kurz die Luft an, um Entschlusskraft zu sammeln. Dann machte er einen energischen Ausfallschritt in Richtung Tür, klopfte und drückte, ohne auf eine Antwort zu warten, die Klinke runter.
Das Erste, was Tron wahrnahm, war der Geruch nach Salz und Tang, der durch die geöffneten Fenster in die sala des Palazzo Mocenigo drang. Er vermischte sich mit dem Rosenduft, der einem riesigen Strauß Madame Hardy entströmte, der auf einem kleinen Tischchen direkt vor den hohen Dreipassbö gen stand. Die Dämmerung hatte sich bereits herabgesenkt, und auf der anderen Seite des Canalazzo sah Tron den Palazzo Balbi und die Mündung des Rio della Frescada. Die Dächer der kleinen Häuser an der Mündung des Rio, auf die man herabblickte, ließen etwas von der Stadt ahnen, die jetzt lautlos auf der scharfen Kante zwischen Tag und Nacht schwebte.
Es war ein Bild, wie es venezianischer nicht hätte sein können – so schön, dass Tron erst auf den zweiten Blick
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