Gondeln aus Glas
da …»
Sie brach den Satz ab, ließ ihren Kopf auf die Brust sinken, und Tron konnte wieder ihre weißen Knö chel sehen, die sich um das Kreuz klammerten.
«Ja?»
«Da weiß ich nicht, was aus mir werden soll.»
Vermutlich war sie sich nicht bewusst, dass Trä nen über ihre Wangen herabliefen, denn sie machte keinen Versuch, sie abzuwischen. Tron, der immer ein blütenweißes Taschentuch mit sich führte, reichte es ihr. Sie trocknete sich so teilnahmslos die Augen, als gehörte das Gesicht einer Fremden.
Bossi hatte eine knappe Stunde gebraucht, um die erforderlichen Tatortfotos zu machen. Insofern passte es gut, dass sich die Ankunft von Dr. Lionardo verzögert hatte. Vielleicht, dachte Tron, hatte sich der dottore auch deshalb nicht sonderlich beeilt, weil er keine Lust hatte, darauf zu warten, bis Bossi mit seinen Tatortfotos fertig war.
Jetzt standen sie vor dem Übungsklavier und sahen zu, wie Dr. Lionardo die Leiche von Konstancja Potocki mit großer Behutsamkeit untersuchte. Wieder fiel Tron auf, dass die fast respektvolle Art, wie Dr. Lionardo mit toten Körpern umging, in einem merkwürdigen Gegensatz zu dem zynischen Gehabe stand, das der dottore sonst an den Tag legte. Bossi hatte Trons Bericht schweigend und ohne ihn durch Fragen zu unterbrechen angehört. Als der Sergente das Gespräch begann, lernte Tron gleich ein neues Wort.
«Das Zeitfenster », sagte Bossi nachdenklich, «war also sehr klein.»
Tron nickte. «Zwischen dem Ende der Mazurka und meinem Betreten der sala lagen höchstens drei Minuten.»
Das Wort Zeitfenster, fand Tron, war ein sehr anschauliches Wort. Es war jetzt kurz vor zehn, und sein persönliches Zeitfenster für den gemütlichen Abend bei der Principessa schloss sich rapide. Man konnte, dachte Tron resigniert, regelrecht sehen, wie die Fensterflügel unerbittlich weiterrückten, bis sie dann am Ende – rums! – zuschlugen.
«Und eigentlich», fuhr Tron fort, «kann der Mörder nur über die Treppe verschwunden sein, die nach oben führt. Aber im Mezzaningeschoss und auf dem Dachboden war niemand. Anna Kinsky hat auch niemanden auf der Treppe gesehen.»
«Signorina Kinsky könnte gelogen haben.»
Tron runzelte die Stirn. «Warum sollte sie gelogen haben? Außerdem ist sie eine Signora. Sie ist Witwe und hat bis zum Tod ihres Mannes in Triest gelebt.
Ich denke nicht, dass sie gelogen hat.»
«Sie ist schön. Und sie tut alles, damit es niemand merkt.»
«Das ist keine Lüge.»
«Was macht sie hier in diesem Haushalt?»
«Signora Kinsky ist die Cousine von Konstancja Potocki. Offenbar war sie mittellos und froh darüber, dass die Potockis sie aufgenommen haben. Sie beaufsichtigt die beiden Hausmädchen und die Köchin.»
Bossi sah Tron fragend an. «Ist sie irgendwie …?»
Er tippte sich mit zwei Fingern an den Kopf. «Ich meine, diese Fummelei an ihrem …»
«Sie meinen, weil sie ständig ihr Kreuz befingert?
Und dabei die Augen verdreht?»
Bossi nickte.
«Nein», sagte Tron. «Sie hält sich fest an dem Kreuz. Um nicht umzukippen im Leben. Das brauchen wir alle. Und man nimmt das, was kommt.»
«Sie meinen, das … mit dem Kreuz ist echt?»
«Signora Kinsky steht unter Schock. Da verhalten sich die Leute oft sehr seltsam.»
Bossi ließ sich nicht überzeugen. «Das erklärt noch lange nicht ihre Kleidung. Eine junge, gut aussehende Witwe würde sich normalerweise …» Bossi brach ab, weil er das richtige Wort nicht fand.
«Interessant machen?»
Bossi nickte. «Würde versuchen, sich möglichst vorteilhaft zu präsentieren. Sich ein wenig zu putzen und auf keinen Fall diese Matronenhaube zu tragen.
Immerhin dürften ihre Chancen, sich ein zweites Mal zu verheiraten, nicht schlecht sein. Ich frage mich, warum sie ihr Licht so unter den Scheffel stellt.»
Tron zuckte die Achseln. «Potocki hat ihr wohl mal Avancen gemacht. Vielleicht kleidet sie sich deshalb so betont unattraktiv.»
«Um ihn nicht zu reizen?»
Tron nickte. «Das würde ihren Aufzug erklären.
Die Idee, sie hier im Palazzo Mocenigo aufzunehmen, ging von Konstancja Potocki aus. Es wäre also ziemlich undankbar, wenn Signora Kinsky sich auf eine Affäre mit Signor Potocki einlassen würde.»
Tron sah Bossi an. «Insofern könnten Sie Recht haben, Bossi. Signora Kinsky versteckt ihre Schönheit, um ihre Position in diesem Haushalt nicht zu gefährden. Sie läuft in der Maske einer grauen Maus herum.»
«Manche Männer finden gerade das reizvoll.» Bossis Gesicht nahm ganz
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