Gondeln aus Glas
ihre Absicht.
Nur, dass sie gezögert hat, als es darum ging, das Bild zu bezeichnen. Sie schien einen Moment die Übersicht verloren zu haben.»
«Was bedeuten würde», sagte Tron, «dass sich das Original eventuell noch im Palazzo Farnese befindet.
Und es bedeutet auch, dass …» Was daraus folgte, hatte einen Augenblick lang die undeutlichen Umrisse von etwas, das man im Winter hinter einer Nebelbank sieht. Doch bevor Trons Gedanken den Nebel durchdrungen hatten, beendete der Oberst den Satz für ihn.
«Dass es eine zweite Kopie des Gemäldes nicht geben muss», sagte Orlow mit einer gewissen Heiterkeit.
Tron hatte auf einmal das Gefühl, auf einer riesigen, glitschigen Schräge zu sitzen. «Aber was hätte Pater Terenzio für einen Grund gehabt, mir zu erzählen, dass eine zweite Kopie existiert? Und dass Sie die zweite Kopie bestellt haben?»
Orlow sah Tron mitleidig an. «Ich weiß es nicht», sagte er. «Ich weiß nur, dass ich Sie nicht um diesen Fall beneide und dass ich …»
Der Oberst unterbrach sich abrupt, und Tron sah zu, wie Orlows Augen sich weiteten, sein Unterkiefer langsam herabsackte und sich ebenso langsam wieder hob. Einen Moment lang erinnerte ihn der Oberst an einen Fisch im Aquarium. Orlow starrte auf etwas, das unmittelbar hinter Trons Rücken aufgetaucht sein musste.
Tron drehte sich um. Hinter ihm stand ein junger, schlanker Bursche, gekleidet in den üblichen schwarzen Frack der Quadri -Kellner. Offenbar bediente der junge Mann im Inneren des Cafés, denn an den Tischen auf der Piazza hatte Tron ihn nicht gesehen. Der Mund des jungen Kellners war ebenfalls leicht geöffnet, seine Brauen zu einem Ausdruck emporgezogen, in dem sich Überraschung und Freude mischten. Es war – so wurde Tron schlagartig klar – ein Ausdruck freudigen Wiedererkennens.
«Der Oberst hat mir geschworen, dass er diesem Burschen noch nie im Leben begegnet ist», sagte Tron eine Stunde später zu Bossi in der Questura. Die Fenster seines Büros waren weit geöffnet, und über den Dächern auf der anderen Seite des Rio di San Lorenzo konnte Tron einen Streifen hellblauen Himmels sehen.
Bossi hatte der Hitze wegen seinen Helm abge nommen und den obersten Knopf seiner Uniformjacke geöffnet. Er beugte sich skeptisch nach vorne.
«Glauben Sie ihm, Commissario?»
Tron schüttelte den Kopf. «Nein. Der Keller war ziemlich überzeugend. Er hat sich an Orlow wegen der hohen Trinkgelder erinnert und wollte ihm nur sagen, dass er ab morgen wieder draußen auf der Piazza bedient. Er war enttäuscht, als Orlow ihn weggeschickt hat.»
«Hat der Kellner auch erwähnt, wann das alles gewesen sein soll?»
Jawohl, das hatte er – um dem Gedächtnis von Oberst Orlow auf die Sprünge zu helfen. «Im April», sagte Tron.
Bossi grinste. «Volltreffer.»
Tron machte ein nachdenkliches Gesicht. «Die Aussage eines Kellners reicht nicht. Und die Meldescheine der Hotels – falls er überhaupt in einem Hotel abgestiegen ist – gehen an die Kommandantura.
Wir müssten Akteneinsicht in Verona beantragen.
Das kann sich hinziehen.»
«Dann ist Orlow längst über alle Berge», sagte Bossi.
«Er wird den Lloyddampfer von Ancona benutzt haben, wenn er direkt aus Rom gekommen ist»,
überlegte Tron weiter. «Vielleicht gibt es einen Eintrag in einer Passagierliste. Wann kommen die Dampfer aus Ancona?»
«Morgens um neun.»
«Und wie viele Dampfer befahren die Strecke?»
«Die Spirito Santo und die Wappen von Salzburg.
Immer abwechselnd.»
Tron lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und sah Bossi an. «Dann gehen Sie morgen um neun zum Anleger und reden mit dem Zahlmeister.»
33
Die felze, das galante schwarze Zelt über den Sitzen der Gondel, war ein klobiger Block aus dunkel gefärbter Talgmasse, aus der ein brennender Docht ragte. Die Gondel, die den Esstisch in der sala degli araz zi dekorierte, erinnerte Tron an billige Souvenirs (ein Wort, das er von Bossi gelernt hatte), die am Bahnhof und in den Hotellobbys verkauft wurden: mit Venedig-Motiven bedruckte Papierfächer, hölzerne Brieföffner mit der Aufschrift Arrivederci Venezia, kleine Leporello-Alben mit Stadtansichten.
«Die Gondel mit der Kerze», sagte die Contessa stolz, «ist vom Flohmarkt.» Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück, griff nach der Serviette und sah Tron triumphierend an.
«Vom Flohmarkt?» Tron hob den Kopf von seiner Brodo di Pesce. Neben seinem Teller stand eine weitere Gondel, deren Bestimmung es war, die zahlreichen
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