Gone 4: Rache
das ein Lachen gewesen wäre, hätte er noch eine Zunge, Zähne und Lippen gehabt.
Brianna wich ein paar Schritte zurück.
Drakes Gesicht schien zu schmelzen und sich neu zu formen. Sie konnte einzelne Zähne sehen, weiße Perlen im Sternenlicht, die sich wie Insekten bewegten. Sie krochen aus dem zerfetzten Fleisch, um im frisch gebildeten Zahnfleisch ihren Platz zu finden.
Brianna tastete nach dem Draht, der von ihrem Gürtel hing. Ein Würgeseil – ursprünglich die D-Saite eines Cellos –, das an beiden Enden um ein Stück Holz gewickelt war.
»Das wolltest du mit mir im Kraftwerk machen. Weißt du noch, Drake?« Brianna zuckte zusammen, als in Drakes klaffendem Mundloch eine Zunge wuchs.
Sie fing sich sofort wieder. »Oh, entschuldige. Du kannst gerade nicht plaudern«, spottete sie. »Die Sache ist nämlich die: Ob ich mit dreihundert Sachen in einen Draht renne oder der Draht mit dreihundert Sachen in dich rennt, ist völlig egal. Die Wirkung bleibt die gleiche.«
Sie spannte das Würgeseil und war hinter Drake, bevor er blinzeln konnte. Der Draht legte sich um seinen Hals, während sie noch rannte, und schnitt glatt hindurch, bis er auf den Halsknochen traf. Der Ruck, mit dem sie Drake schließlich enthauptete, war so stark, dass ihr einer der Griffe aus der Hand flog.
Drakes Kopf fiel vom Rumpf. Er schlug dumpf auf dem Steinboden auf, rollte auf die Seite und wippte dort ein paarmal auf und ab.
Das reicht nicht, dachte Brianna. Sie drehte sich um, raste zurück, warf das lose Drahtende um Drakes Taille, fing den Griff auf und rannte rückwärts laufend weiter, während sie beide Enden mit aller Kraft festhielt.
Der Draht schnitt Drakes immer noch stehenden Rumpf unterhalb der Rippen entzwei. An der Wirbelsäule blieb er stecken. Brianna ruckte daran, aber noch weigerte sich der Draht, die starken Knochen zu durchtrennen. Während sie daran riss und zerrte, kippte Drakes Oberkörper zur Seite. Seine Innereien wurden sichtbar: die Organe, das rohe Fleisch, die blassen Därme. Wie auf diesen ekelhaften Abbildungen in Medizinbüchern.
Doch schließlich war ihr mit Höchstgeschwindigkeit durchgeführtes Zerren und Reißen von Erfolg gekrönt. Knackend gab die Wirbelsäule nach und der Rumpf zerfiel in zwei Teile.
Jamal hielt sich eine Hand vors Gesicht, blickte mit schreckgeweiteten Augen zwischen den Fingern hindurch und schrie, als könnte er nie wieder damit aufhören.
Brianna wollte auch schreien. Aber nicht vor Entsetzen, sondern aus schierer Freude. Was für ein Triumph! Sie wollte tanzen und sich mit dem Blut ihres geschlagenen Feinds einschmieren. Auf seine Körperteile springen und sie mit den Füßen treten.
Brianna warf den Kopf in den Nacken und rief ihren Jubel durch die geborstenen Balken über ihr hinaus in die Nacht. »Jaaaaa! Jaaaaa! Der Wirbelwind hat gesiegt!«
Jamals Schrei brach ab. Jetzt brabbelte er wie ein Verrückter und kroch auf allen vieren davon.
Brianna lachte. »Was ist los, Rambo? Ist dir gerade aufgegangen, dass du dich auf die falsche Seite geschlagen hast?«
Der Tentakel wickelte sich um ihre Beine, bevor sie wusste, wie ihr geschah. Sie starrte ihn an und begriff im ersten Moment nicht, was sie sah. Drakes Peitschenhand war zweimal um ihre Knöchel gewickelt, fesselte sie aneinander und drückte mit aller Kraft zu. Brianna versuchte, sich herauszuwinden, war aber wie festgenagelt.
Drakes Kopf lag einen Meter von seinem Oberkörper entfernt. Der grausame Mund war wieder da und grinste. Die kalten Augen beobachteten sie.
Er war am Leben!
Drake richtete den Oberkörper auf und schob sich, gestützt auf die normale Hand, ruckartig zu seinem Kopf. Dabei hielt der Tentakel Brianna mit der Kraft einer Pythonschlange eisern im Griff. Der untere Teil seines Körpers – Bauch, Hüften, Beine – setzte sich ebenfalls in Bewegung und schlängelte sich zuckend Richtung Oberkörper.
Drake baute sich selbst wieder zusammen.
Brianna fiel auf den Hintern. Sie streckte sich reflexartig nach ihrem Messer aus, aber es war zu weit weg.
Ihre Schrotflinte. Sie hatte sie zurück in das Halfter gesteckt. Ihre Hand fand sie und zog sie heraus.
Brianna zielte auf den Tentakel, auf den Teil direkt neben ihren Füßen und legte den Finger auf den Abzug.
BAM !
Der Schuss war aus Jamals Gewehr gekommen. Er hatte es gefunden. Sie sah die Rauchsäule, die aus dem Lauf stieg.
Brianna wollte ihre Schrotflinte wieder anlegen, nur funktionierten ihre Finger nicht so, wie sie
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