Gone 4: Rache
sie mit den Armen auf.
»Lass mich mal sehen«, bat er sanft.
In Dekkas Haut befand sich eine ausgebrannte Kuhle. Ungefähr einen Zentimeter tief. Und etwa doppelt so breit. Da ihr Fleisch verätzt war, blutete es nicht.
Sam atmete erleichtert auf. »Es hat geklappt.«
»Das weißt du nicht«, stieß Dekka zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Doch, ich hab’s erwischt. Es ist nicht eingedrungen. Ich hab es rausgebrannt.«
Dekka packte Sam am Kragen seines T-Shirts. »Du lässt nicht zu, dass es so weit kommt, ja?«
»Das wird nicht passieren.«
»Nein, hör zu: Sobald es sich bemerkbar macht, kümmerst du dich um mich. Wie um Hunter.«
»Dekka …«
»Schwör es mir, Sam. Bei Gott oder woran auch immer du glaubst. Bitte!«
Sam löste behutsam ihre Finger.
»Ich werde mich drum kümmern. Versprochen.«
»Bleibt in euren Häusern! Niemand darf raus, nur im Notfall!«, rief Edilio in ein Megafon, mit dem er wertvolle Batterien verbrauchte. Albert wollte sie ihm zuerst gar nicht geben. Aber Albert konnte ihn mal kreuzweise.
Er ging die San Pablo Street entlang. »Es kursiert eine Grippe!«, rief er weiter. »Sie ist sehr gefährlich. Bleibt in euren Häusern. Geht nur raus, wenn es unbedingt sein muss. Heute wird nicht gearbeitet. Der Markt ist geschlossen.«
Grippe. Genau. Eine, bei der man sich die Lunge aus dem Leib kotzte. Das ist alles so irre, dachte Edilio auf halbem Weg die Straße hinunter und nachdem er seine Warnung wiederholt hatte.
Eine Seuche. Die Krankenstation war voll. Den ganzen Vormittag waren fiebernde, hustende Kinder zu Dahra gekommen, manche von ihnen mit letzter Kraft. Die Krankheit breitete sich aus wie ein Flächenbrand und Lana konnte nichts dagegen tun.
Unmöglich zu sagen, wie viele daran sterben würden.
Vielleicht alle, die sich schon angesteckt hatten.
Vielleicht würde es am Ende sogar jeden treffen.
»Quarantäne«, hatte Dahra gesagt und mit der Faust in ihre Hand geschlagen. »Ihr müsst alles lahmlegen.«
Edilio hatte protestiert. »Die Leute haben in den Häusern kaum noch Wasser, geschweige denn etwas zu essen.«
»Denkst du, das weiß ich nicht?«, hatte Dahra mit schriller Stimme geantwortet. »Aber wenn wir die Epidemie nicht stoppen, ist bald niemand mehr durstig. Dann sind nämlich alle tot. Wie Pookie. Und wie diese Jennifer.«
Die Kids streckten die Köpfe aus den Fenstern, kamen vor die Tür oder liefen hinaus zu ihm auf die Straße. Taten genau das, was sie nicht sollten.
»Ich hab die Grippe schon gehabt!«, riefen ein paar.
»Ja, aber keiner von euch ist immun!«, rief Edilio zurück.
»Wie steht’s mit Essen?«
»Das müssen wir erst noch klären. Wahrscheinlich gibt’s einen Tag lang mal nichts.«
»Hat das was mit den Käfern zu tun, die aus dem Körper kriechen?«
Wie hatte sich das so schnell herumgesprochen? Alle wussten von Roscoe und dass er eingesperrt war. Es gab kein Telefon, keine SMS , keine E-Mail und trotzdem wussten sie in kürzester Zeit über alles Bescheid.
»Nein, nein, es ist nur eine Grippe«, sagte Edilio beschwichtigend. »Ein Junge ist daran gestorben. Also tut bitte, was ich sage.«
In Wirklichkeit waren schon drei Kinder der Krankheit zum Opfer gefallen: Pookie, ein Mädchen namens Melissa und Jennifer H. Drei, nicht eins. Vielleicht auch mehr. Kein Mensch wusste, was in jedem einzelnen Haus dieser Geisterstadt vor sich ging. Aber wozu noch mehr Panik verbreiten?
Edilio hatte keine Ahnung, ob die Quarantäne funktionieren würde. Er würde seinen Leuten sagen, sie sollten dafür sorgen, dass die Kids in ihren vier Wänden blieben. Aber was sollten sie tun, wenn seine Anweisungen ignoriert wurden? Sie erschießen, damit sie sich nicht ansteckten?
Sechzehn
33 Stunden, 40 Minuten
Die sengende Hitze der über ihm stehenden Sonne weckte Orc. Es dauerte eine Weile, bis er sich zurechtfand. Er sah Tische, wie er sie von früher aus der Schule kannte.
Er lag auf dem Fußboden, auf kalten Fliesen. Die Tische um ihn herum waren umgestoßen, wild durcheinandergeworfen. Als hätte sie jemand in einem Wutanfall durch den Raum geschleudert.
An der Wand hing eine Tafel. Auf ihr stand etwas, aber Orcs Augen waren noch nicht scharf genug, um es entziffern zu können. Das, was ihn am meisten verwirrte, war das Loch in der Ecke zwischen Decke und Wand, durch das die Sonne ihm direkt ins Gesicht schien. Die Wand war teilweise eingestürzt und hatte dort, wo sie die Decke gestützt hatte, einen Teil von ihr
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