Gone 5: Angst (German Edition)
die Wann-hält-sie-endlich-die-Klappe-Astrid.
Sie musste nur jeden Tag genug Essen auftreiben. Und wenn ihr das gelang, gehörte der Erfolg ihr allein.
Sam schaute durch den Feldstecher. Er war auf die Barriere gerichtet. Dann schwenkte er ihn ins Landesinnere.
»Mo ist auf dem Weg«, sagte er. »Und Howard auch. Er ist ihm ungefähr einen halben Kilometer voraus. Er ist … Jetzt sehe ich ihn nicht mehr.« Er nahm das Fernglas herunter. »Wetten, dass er noch rasch eine Lieferung Schnaps holt?«
Astrid lächelte ironisch. »Tja, das Leben geht weiter.«
»Du wolltest mir vorhin etwas sagen.«
»Geh wieder an die Arbeit. Ich sag dir Bescheid, wenn du dir Sorgen machen musst.«
»Sehr witzig«, erwiderte er grinsend.
Er sah plötzlich so jung aus. War er ja auch. So wie sie. Hier hatten sie jedoch von Anfang an zu den Ältesten gehört und längst vergessen, was es hieß, jung und unbeschwert zu sein. Er sah aus wie ein ganz normaler Teenager, einer, der einfach nur rumalbern und mit seinem Surfbrett unterm Arm auf die Brandung zurennen sollte.
Dieses Bild tat ihr weh. Als ihr die Tränen kamen, tat sie so, als würde sie Staub aus den Augen wischen.
Er ließ sich nicht täuschen, legte seine Arme um sie und zog sie an sich. Wenn sie ihn jetzt ansähe, würde sie erst recht zu weinen beginnen. Wenn sie die Angst in seinen Augen sähe, würde sie ihn wie einen kleinen Jungen einfach nur streicheln wollen.
»Bitte, Astrid«, flüsterte er. »Mach die Augen auf. Ich weiß nicht, wie oft ich sie noch sehen werde.«
Als sie ihre Wange an seine presste, war sie nass.
»Ich möchte dich noch einmal lieben«, sagte er.
»Ich dich auch, Sam«, antwortete sie. »Wir fürchten uns.«
Er nickte und spannte die Kiefer an. »Ziemlich daneben, was?«
»Menschlich«, sagte sie. »Die Menschen haben sich jahrtausendelang bei Dunkelheit gefürchtet und aneinandergedrängt. In kleinen Hütten, die sie mit ihren Tieren teilten. Überzeugt davon, dass die Wälder von Gespenstern heimgesucht wurden. Von Wölfen und Werwölfen. Sie klammerten sich aneinander. Damit sie sich nicht so fürchteten.«
»Ich muss dich um etwas bitten«, sagte Sam.
»Ich soll noch einmal raus und die Messungen vergleichen.«
»Ursprünglich war morgen Früh geplant …«
Sie nickte. »Der Fleck wächst viel schneller, als wir dachten. Du hast Recht. Wir müssen wissen, ob morgen noch die Sonne aufgeht.«
Er sah niedergeschlagen aus. Als würde er am liebsten weinen und tat es nur deshalb nicht, weil es zwecklos war.
Nun hatte die FAYZ doch noch einen Weg gefunden, wie sie Sam Temple besiegen konnte. Ohne Licht würde er nicht überleben. Sobald die Nacht endgültig und ohne Aussicht auf eine Morgendämmerung hereinbrach, wäre er erledigt.
Astrid küsste ihn. Er erwiderte ihren Kuss nicht, sondern starrte nur weiter auf den wachsenden Fleck.
Früher einmal war Schwarz Sinders absolute Lieblingsfarbe gewesen. Sie hatte ihre Nägel schwarz lackiert, ihre braunen Haare schwarz gefärbt und überwiegend schwarze Sachen getragen.
Jetzt war ihre Lieblingsfarbe Grün. Karotten waren orange und Tomaten rot, aber im Wachstum waren beide grün. Das Grün wandelte Licht in Nahrung um.
»Gibt es etwas Cooleres als die Fotosynthese?«, rief sie Jezzie zu, die sechs Reihen weiter auf den Knien saß und mit Adleraugen nach allem Ausschau hielt, was ihre kleinen Lieblinge gefährden konnte – Unkraut, Schnecken, Krankheiten. Eine Glucke war nichts dagegen. Das Mädchen hasste Unkraut mit wahrer Inbrunst.
Jezzie erwiderte nichts, meistens ließ sie Sinder einfach weiterquasseln.
»Ich meine, ich weiß noch, wie wir das in der Schule gelernt haben, bloß hat das damals kein Schwein interessiert. Foto-was? Aber denk doch mal, sie wandelt Licht in Essen um. Licht wird Energie wird Nahrung wird wieder Energie. Das ist wie … also …«
»Wie ein Wunder«, brummte Orc.
»Nein«, sagte Jezzie. »Ein Wunder wäre es, wenn es bei Unkraut nicht genauso funktionieren würde. Dann wäre es ein Wunder.« Sie hatte eine Wurzel entdeckt, die ihr nicht gefiel, und zerrte daran. Dabei schnaufte sie vor Anstrengung.
»Soll ich das für dich ausreißen?«, bot Orc an.
»Nein, nein, nein!«, riefen beide Mädchen gleichzeitig. Orc trug keine Schuhe, aber hätte er welche getragen, hätte er für seine Riesenlatschen wahrscheinlich Größe fünfundfünfzig in Extrabreit gebraucht.
Sinder legte sich gerne flach auf den Boden und betrachtete ihre Pflanzen aus
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