Gone 5: Angst (German Edition)
sprichst …«
Plötzlich sah er eine winzige weiße Made. Sie wand sich aus dem Zement hervor. Nein, nicht aus dem Zement, aus der Haut direkt darüber.
Er starrte sie an. Penny hatte seine Hände mit Maden einbetoniert!
Jetzt kam eine zweite heraus. Nicht größer als ein Reiskorn. Fraß sich durch seine Haut, kam aus …
Nein, nein. Das war nur eine Illusion. Sie brachte ihn dazu, das zu sehen.
Sie würden sich in sein Fleisch bohren und ihre Eier in ihm ablegen.
Nein! Nein! Glaub nicht daran!
Das war nicht echt. Der Zement war echt, sonst nichts. Aber er spürte sie. Nicht nur eine oder zwei, sondern Hunderte. Und sie fraßen sich gierig vorwärts.
»Hör auf damit!«, schrie er unter Tränen.
»Aber gern, Hoheit.«
Die Maden waren weg. Ebenso das Gefühl, dass sie sich in ihn hineinbohrten. Aber Angst und Ekel blieben.
»So, und jetzt gehen wir spazieren«, sagte Penny.
»Was?«
»Nicht so schüchtern. Zeigen wir der Welt deinen Waschbrettbauch. Und deine Krone.«
»Ich geh nirgendwohin«, fuhr Caine sie an.
Doch dann fiel etwas auf die Wimpern seines linken Auges. Er konnte es nur aus dem Augenwinkel sehen. Es war weiß und winzig und wand sich wie ein Wurm. Sein Widerstand löste sich in Luft auf.
Binnen weniger Stunden war er vom Herrscher über Perdido Beach zum ohnmächtigen Sklaven geworden.
Er spannte die Muskeln an, hievte den Block vom Boden und taumelte zur Tür.
Penny öffnete sie und schnellte zurück.
»Es ist mitten in der Nacht«, sagte Caine.
Penny schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe eine Uhr. Es ist Morgen.« Sie warf ihm einen gehetzten, unruhigen Blick zu.
»Du siehst aus, als hättest du Angst, Penny«, sagte er.
Sogleich setzte sie wieder eine harte Miene auf. »Los jetzt, König Caine! Ich fürchte mich vor gar nichts.« Auf einmal lachte sie vergnügt. »Ich habe keine Furcht. Ich bin die Furcht.«
Diana stand an Deck des Segelboots und streichelte gedankenverloren ihren Bauch.
Auf dem Oberdeck des Hausboots waren die Anführer zu sehen – Sam, Edilio, Dekka. Sie blickten zu der Stelle, wo längst die Sonne aufgehen sollte.
Mein Baby.
Das war es, was sie dachte. Mein Baby.
Sie wusste nicht einmal, was es bedeutete. Sie verstand auch nicht, warum es ihr ganzes Denken beherrschte und alles andere in den Hintergrund drängte.
Doch während sie mit wachsender Angst den dunklen Himmel betrachtete, war alles, was Diana denken konnte: mein Baby.
Cigar irrte durch die Stadt, ohne zu wissen, wo er sich befand. Nichts sah so aus, wie es sollte. In seiner Welt waren sämtliche Gegenstände – Häuser, Bordsteine, Straßenschilder, liegen gebliebene Autos – nur noch Schatten. Wenigstens konnte er ihre Umrisse so weit ausmachen, dass er nicht in sie hineinlief.
Aber alles Lebendige sah aus wie eine Sinnestäuschung aus wirbelndem Licht. Eine Palme wurde zu einem schmalen, strahlenden Sturmtrichter. Die Sträucher am Straßenrand waren ineinandergeschlungene Krallen und erinnerten ihn an die Karikatur eines händeringenden Geizhalses. Über seinem Kopf schwebte eine Möwe und ließ ihn an eine kleine blasse Hand denken, die ihm winkte.
War irgendwas davon echt?
Woher sollte er das wissen?
Cigar spürte die Anwesenheit des kleinen Jungen.
Er wandte den Kopf, aber hinter ihm war er nicht. Auch nicht vor ihm. Oder seitlich von ihm. Er war dort, wo kein Auge hinsehen konnte. Aber er war eindeutig da – in dem blinden Winkel an seiner Seite, in diesem Splitter der Realität, der dem Auge zwar verborgen blieb, aber trotzdem spürbar war.
Der kleine Junge war auch gar nicht so klein. Vielleicht war er sogar ungeheuer groß. Vielleicht konnte er einen gewaltigen Finger ausstrecken und Cigar von innen nach außen kehren.
Vielleicht war der kleine Junge aber genauso trügerisch wie alles andere.
Cigar folgte der Menge, die in Richtung Plaza strömte.
Lana stand auf ihrem Balkon. Im trüben Licht der Dämmerung wurden die Ränder des schwarzen Flecks sichtbar, der inzwischen fast den ganzen Himmel bedeckte. Hoch oben begann er sich gerade zu verfärben und wurde blau. Der Dom sah aus wie ein von innen betrachteter, pechschwarzer Augapfel mit einer dunkelblauen Iris an der Spitze.
Der Anblick machte sie rasend. Es war der reinste Hohn. Ein unechtes Licht an einem unechten Himmel und eine Dunkelheit, die unaufhaltsam näher rückte, um das letzte bisschen Licht auszulöschen.
Sie hätte ihn vernichten müssen. Und weil sie es nicht geschafft hatte, fühlte sie
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