Gone 5: Angst (German Edition)
sich an allem, was er seither angerichtet hatte, mitschuldig.
Er war stärker gewesen als Lana. Hatte sie mit schierer Willenskraft in die Knie gezwungen.
Sie war auf allen vieren zu ihm gekrochen.
Er hatte sie benutzt. Sie zu einem Teil seiner selbst gemacht. Aus ihrem Mund gesprochen. Sie gezwungen, auf einen Freund zu schießen.
Ihre Hand wanderte zu der Pistole an ihrem Gürtel.
Als sie die Augen schloss, meinte sie, die grüne Ranke sehen zu können, die sich nach ihr ausstreckte, ihren Verstand berühren und in ihre Seele eindringen wollte. Sie holte bebend Luft und zwang sich, den Schutzschild zu senken, mit dem sie ihn sonst abwehrte. Sie wollte ihm sagen, dass sie noch nicht besiegt war, dass sie keine Angst hatte. Und sie wollte, dass er sie hörte.
Wie zuletzt spürte sie auch jetzt den Hunger des Gaiaphage, seine Gier. Sie spürte aber noch etwas:
Angst.
Der Angstmacher hatte Angst.
Lanas Augen waren geschlossen. Jetzt gingen sie auf. Über ihren Rücken lief ein kalter Schauer.
»Du fürchtest dich, was?«, flüsterte sie.
Er brauchte etwas. Und zwar dringend.
Lana drückte ihre Augen noch einmal fest zu und zwang sich zu tun, wogegen sich alles in ihr wehrte: Sie wollte den Gaiaphage über die Leere hinweg erreichen und berühren.
Was willst du, du Ungeheuer?
Was brauchst du so dringend?
Sag es mir, damit ich es töten kann und dich gleich mit.
Eine Stimme – Lana hätte schwören können, dass es eine echte Stimme war, eine Mädchenstimme – flüsterte: mein Baby .
Albert beobachtete die Menge, die zur Plaza strömte. Ihre Angst war mit Händen greifbar. Ebenso ihre Verzweiflung.
Denn nichts würde geerntet werden. Der Markt bliebe geschlossen.
Es war das Ende. Die Zeit wurde knapp.
Die Kids schoben sich an ihm vorbei. Ein paar rempelten ihn versehentlich an, erkannten ihn und einer sagte: »Albert, was passiert da?«
»Was bedeutet das?«, fragte ein anderer.
»Was sollen wir tun?«
Fürchtet euch, dachte Albert. Fürchtet euch, weil euch nicht mehr zu helfen ist. Habt Angst und werdet panisch, verwüstet alles und bringt euch gegenseitig um.
Ihm war übel.
Alles, was er aufgebaut hatte, würde in wenigen Stunden zerstört sein. Er sah es deutlich vor sich.
»Ihr habt doch von Anfang an gewusst, dass es böse enden wird«, flüsterte er.
»Was?«
»Was hat er gesagt?«
Er starrte sie an. Sie hatten sich um ihn geschart. Menschenmengen waren gefährlich. Er musste sie beruhigen, wenigstens so lange, bis er sich selbst in Sicherheit gebracht hatte.
Er sah sie missbilligend an. »Das Wichtigste ist, dass ihr jetzt die Nerven behaltet. Der König wird sich schon etwas einfallen lassen.« Dann fügte er mit der kühlen Überheblichkeit, die zu seinem Markenzeichen geworden war, hinzu: »Und wenn er es nicht schafft, tu ich es.«
Er drehte sich um und entfernte sich von ihnen. Hinter ihm erklangen unsichere Rufe und dann noch ein paar aufmunternde Worte.
Vorläufig hatten sie es ihm abgekauft.
Idioten.
In Gedanken ging er die Liste noch einmal durch. Leslie-Ann, weil sie ihm das Leben gerettet hatte. Und Alicia, weil sie mit einer Kanone umgehen konnte und nicht ehrgeizig war. Außerdem war sie süß.
Einer von seinen Leibwächtern? Nein. Sie könnten sich gegen ihn wenden. Lieber nahm er diese Pug mit. Sie war kräftig und zu dumm, um zum Problem zu werden.
Gemeinsam würden sie das Boot zur Insel nehmen. Vier Leute sollten reichen, um sie zu bewachen und mit den Raketen, die er heimlich hingebracht hatte, jeden in die Luft zu jagen, der sich ihr ungefragt näherte.
Zweiundzwanzig
14 Stunden, 44 Minuten
»Komm schon, König Caine«, spottete Penny.
Caine ging gebückt und zerrte den Block zwischen seinen gespreizten Beinen über den Asphalt. Ab und zu platzten die kleinen Wunden in seiner Kopfhaut auf und fingen wieder an zu bluten. Das Blut lief in seine Augen und alles wurde rot, bis er es wegblinzeln konnte.
Hin und wieder nahm er seine ganze Kraft zusammen und wuchtete den Stein vom Boden, doch die Schmerzen in seinen Armen und Schultern waren kaum auszuhalten.
Es war ein weiter, unendlich schmerzhafter und demütigender Weg zur Plaza, den er mehr kroch als ging.
Irgendwann erreichte er einen Grad der Erschöpfung, den er nicht für möglich gehalten hätte. Sein Mund und seine Kehle waren staubtrocken.
Außerdem dachte er, dass es noch Nacht war. Die Straße lag im Dunkeln. Es herrschte aber eine gespenstische, beinahe unnatürliche Atmosphäre, als
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