Gone 5: Angst (German Edition)
würde von hoch oben ein trübes Licht herunterscheinen. Wie der Strahl einer Taschenlampe, deren Batterien fast leer waren.
Die Schatten waren unheimlich. Schmal wie zu Mittag, aber schwächer. Selbst die Luft schien sepiafarben und erinnerte ihn an uralte Fotografien.
Caine fiel auf, dass Penny in einem fort den Kopf in den Nacken legte und zum Himmel starrte. Er blinzelte das Blut aus seinen Augen und verrenkte den Hals.
Der Himmel war ein blaues Loch in einer rabenschwarzen Kugel.
Er bemerkte jetzt auch die Kids, die aus ihren Häusern kamen und zur Plaza eilten. Während sie nach oben blickten, bekamen ihre Stimmen diesen schrillen, sich beinahe überschlagenden Tonfall, den Kinder anschlagen, wenn sie Angst haben.
Die Leute gingen mit eingezogenen Schultern und nach vorne gebeugt, als fürchteten sie, der Himmel könnte ihnen auf den Kopf fallen.
Es dauerte erstaunlich lange, bis er und Penny bemerkt wurden. Erst auf die Rufe eines Jungen hin sahen auf einmal alle zu Caine hinüber.
Er wusste nicht, was er erwarten sollte. Empörung? Schadenfreude?
Womit er nicht gerechnet hatte, war Schweigen. Leute, die eben noch miteinander geredet hatten, wandten sich um, sahen, wie er sich mit seinem Zementblock abschleppte, und verstummten. Sie machten große Augen.
»Was ist mit dem Himmel los?«, wollte Penny wissen und starrte wütend in die fassungslosen Gesichter der Kids. »Antwortet oder ihr wünscht euch, ihr wärt lieber tot!«
Achselzucken. Kopfschütteln. Ein rascher Rückzug.
»Weiter!«, fuhr sie Caine an.
Sie hatten die Plaza erreicht. Penny schubste Caine in Richtung Rathaus.
»Ich muss was trinken«, sagte er heiser.
»Steig die Treppe rauf.«
»Leck mich.«
Sofort fielen ihn von hinten zwei tollwütige Hunde an. Sie trugen schwere Kettenhalsbänder und hatten Schaum vor dem zähnefletschenden Maul.
Er spürte die Berührung ihrer messerscharfen Zähne, das Schnappen nach seinen Beinen und den Biss in seinen Hintern.
Ah, dieser Schmerz – nein, nein, sagte er sich sofort, das ist eine Täuschung. Dafür war es aber zu echt. Er konnte gar nicht anders als zu glauben, dass die Hunde ihn zerfleischen würden, schrie auf vor Angst und Wut und wuchtete den Block die erste Stufe hinauf.
Die Hunde fielen knurrend und geifernd zurück, bellten aber immer noch und so laut, dass er dachte, ihm würde gleich das Trommelfell platzen.
Caine zerrte den Block von einer Stufe zur nächsten.
Oben angekommen, an exakt der Stelle, von der er so oft sein königliches Machtwort gesprochen hatte, brach er zitternd vor Erschöpfung zusammen.
Nach einer Weile riss jemand seinen Kopf hoch und hielt ihm den Schnabel eines Krugs an die Lippen. Er trank, verschluckte sich, hustete, kümmerte sich nicht darum.
Als er die Augen öffnete, sah er, dass die Menge größer geworden war. Die Leute kamen näher und starrten ihn mit erschrockenen Mienen an.
In den letzten vier Monaten hatte er sich viele Feinde gemacht. Aber das, was jetzt geschah, löschte alles aus. Die Leute hatten Angst. Wahnsinnige Angst. Ihre Blicke wanderten immer wieder zum Himmel. Flehend, dass da noch Licht war, irgendein Licht.
Caine suchte in der Masse nach einem Gesicht. Ihm blieb noch eine Hoffnung: Albert.
Albert würde das nicht zulassen. Seine Leute waren bewaffnet. Nur waren sie nirgends zu sehen.
Den Zement würde er nie wieder loswerden. Es sei denn, jemand half ihm mit einem Hammer. Dabei würden ihm in beiden Händen sämtliche Knochen brechen und es würde entsetzlich wehtun. Lana könnte ihn heilen, aber erst, wenn der Zement ab wäre.
Und erst, wenn Albert Penny erledigt hätte.
»Hier ist er, euer König!«, rief Penny schadenfroh. »Seht her! Seht ihr die Krone, die ich ihm aufgesetzt habe? Gefällt sie euch?«
Stille.
»Ob sie euch gefällt?«, kreischte Penny.
Ein paar Kids nickten oder murmelten: »Ja.«
»Okay«, sagte Penny. »Dann ist es ja okay.« Sie klang unsicher, als wüsste sie nicht weiter. Ihre Fantasie hatte nur bis zu diesem Moment gereicht. Und jetzt, dachte Caine, überlegt sie sich, wie sie ihren Sieg feiern soll.
Ihren vorläufigen Sieg.
»Ich hab’s!«, rief sie. »Wir wollen mal sehen, ob der König tanzen kann. Wie findet ihr das?«
Wieder wussten die schockierten Kids nicht, wie sie reagieren sollten.
»Tanz!«, brüllte Penny mit schriller Stimme. »Tanz, tanz, tanz!«
Der Steinboden unter Caines Füßen ging in Flammen auf.
»Tanz, tanz, tanz!«, schrie die auf und ab hüpfende
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