Gone Girl - Das perfekte Opfer: Roman (German Edition)
werden würde. Die ersten achtundvierzig Stunden waren entscheidend. »Immerhin ist meine Frau verschwunden. Meine Frau ist weg!« Auf einmal merkte ich, dass ich es zum ersten Mal so sagte, wie es gesagt werden sollte: panisch und wütend. Mein Dad war ein Mann der unbegrenzten Variationen von Bitterkeit, Wut und Abscheu. In meinem lebenslangen Kampf, nicht so zu werden wie er, hatte ich fast die Fähigkeit verloren, negative Emotionen überhaupt zum Ausdruck zu bringen. Ein weiterer Umstand, der dazu führte, dass ich wie ein Arschloch wirkte – selbst wenn es in meinem Innern drunter und drüber ging, in meinem Gesicht war davon nichts zu erkennen und in meinen Worten noch viel weniger davon zu hören. Ein konstantes Problem: entweder zu viel Kontrolle oder gar keine.
»Nick, wir nehmen die Sache sehr, sehr ernst«, beteuerte Boney. »Die Jungs vom Labor sind in diesem Augenblick in Ihrem Haus, und da werden wir weitere Informationen bekommen. Und je mehr Sie uns über Ihre Frau erzählen können, desto besser. Wie ist sie denn so?«
Sofort hatte ich die übliche Ehemann-Antwort im Kopf: Sie ist süß, sie ist toll, sie ist nett, sie ist hilfsbereit .
»Wie meinen Sie das?«, fragte ich.
»Beschreiben Sie uns doch einfach Amys Persönlichkeit ein bisschen«, drängte Boney. »Beispielsweise, was Sie ihr zum Hochzeitstag schenken wollen. Schmuck vielleicht?«
»Ich habe noch nichts gekauft«, sagte ich. »Das wollte ich heute Nachmittag erledigen.« Ich wartete, dass Boney lachte und wieder sagte: »Der Jüngste der Familie«, aber nichts dergleichen geschah.
»Okay. Na, dann erzählen Sie uns eben sonst etwas. Ist sie extrovertiert? Ist sie – ich weiß nicht, wie ich das ausdrücken soll –, ist sie sehr New Yorkerisch? Was manche vielleicht als unhöflich auffassen? Könnte es sein, dass sie Leuten manchmal auf den Schlips tritt?«
»Ich weiß nicht. Sie ist vielleicht keine Durchschnittsperson, aber sie ist bestimmt nicht – nicht aggressiv genug, dass jemand sich provoziert fühlen würde – ihr weh zu tun.«
Das war meine elfte Lüge. Die heutige Amy war manchmal durchaus aggressiv genug, dass man sie verletzen wollte. Ich spreche ausdrücklich von Amy, wie sie jetzt ist, denn sie ist anders als die Frau, in die ich mich verliebt habe. In wenigen Jahren hat die alte Amy, das Mädchen mit dem breiten Lachen und der entspannten Art, buchstäblich ihre Haut abgestreift, hat sie mitsamt ihrer Seele auf den Boden fallen lassen, und heraus kam die neue, spröde, bittere Amy. Meine Frau war nicht mehr meine Frau, sondern ein Wirrwarr aus verknotetem Stacheldraht, der mich herausforderte, ihn zu entwirren, wozu ich mit meinen dicken, tauben, nervösen Fingern jedoch absolut nicht in der Lage war. Meinen Bauernfingern. Meinen Hinterwäldlerpranken, untrainiert in der komplizierten, gefährlichen Aufgabe, das Problem Amy zu lösen . Wenn ich die blutigen Stummel hochhielt, seufzte sie und nahm sich ihr mentales Notizbuch vor, in dem sie alle meine Unzulänglichkeiten ankreuzte, alle Enttäuschungen, Schwächen und Mängel auflistete. Meine alte Amy, verdammt, mit ihr konnte man Spaß haben. Sie war lustig. Sie brachte mich zum Lachen. Das hatte ich ganz vergessen. Und sie lachte auch. Tief in der Kehle, direkt hinter der kleinen fingerförmigen Vertiefung, die der beste Ort ist, von dem man sein Lachen aufsteigen lassen kann. Sie warf ihre Klagen von sich wie Vogelfutter: Da sind sie, und jetzt sind sie weg.
Damals war sie das noch nicht, damals hatte sie sich noch nicht in das verwandelt, was ich am meisten fürchtete: eine wütende Frau. Ich konnte nicht gut mit wütenden Frauen umgehen. Sie brachten etwas höchst Unappetitliches in mir zum Vorschein.
»Ist sie rechthaberisch?«, fragte Gilpin. »Bestimmt sie gern, wo’s langgeht?«
Ich dachte an Amys Kalender, an den, der drei Jahre in die Zukunft reichte, und wenn man ein Jahr in die Zukunft blickte, fand man tatsächlich Termine: Hautarzt, Zahnarzt, Tierarzt. »Sie plant gerne – sie überlässt nichts dem Zufall, wissen Sie. Sie macht Listen und hakt sie ab. Sie erledigt Dinge. Deshalb leuchtet es mir auch überhaupt nicht ein …«
»Das kann einen verrückt machen«, sagte Boney mitfühlend. »Wenn man nicht so ein Typ ist. Sie scheinen mir eher eine B-Persönlichkeit zu sein.«
»Ja, vermutlich bin ich etwas entspannter«, bestätigte ich. Dann fügte ich noch das hinzu, was ich hinzufügen musste: »Wir ergänzen einander sehr
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