Gone Girl - Das perfekte Opfer: Roman (German Edition)
Eine Hitzewelle rollte über meinen Nacken, Schweißperlen bildeten sich auf meiner Nase. Das war dumm, Nick, einfach dumm . Und dann, gerade als ich mich zusammenriss, war die Pressekonferenz vorbei, und es war zu spät, um den miesen Eindruck zu revidieren.
Ich ging mit den Elliotts hinaus, den Kopf tief gesenkt, während die Blitzlichter weiterballerten. Ich war schon fast am Ausgang, als Gilpin auf mich zukam und mich aufhielt. »Haben Sie mal eine Minute für mich, Nick?«
Während wir zu einem Büro ganz hinten wanderten, brachte er mich auf den neuesten Stand. »Wir haben dieses Haus in Ihrer Nachbarschaft überprüft, in dem eingebrochen wurde, sieht aus, als hätten da Leute übernachtet, also haben wir die Spurensuche hingeschickt. Und wir haben am Rand der Anlage noch ein Haus gefunden, wo sich auch welche eingenistet hatten.«
»Ich meine, genau das macht mir ja Sorgen«, sagte ich. »Überall campieren irgendwelche Kerle. Die ganze Stadt ist überflutet von wütenden Leuten ohne Arbeit.«
Bis vor einem Jahr war Carthage eine typische Company Town, das heißt, die Arbeitsplätze waren abhängig von einem einzigen Arbeitgeber, in unserem Fall die Riverway Mall, eine kleine Stadt in sich, die viertausend Leute aus der Gegend beschäftigt hatte – ein Fünftel der Bevölkerung. Sie war 1985 erbaut worden, ein Einkaufszentrum für die Gegend, das Kunden aus dem ganzen Mittelwesten anlocken sollte. Ich erinnere mich noch an den Tag der Eröffnung: Go, Mom, Dad und ich beobachteten das Ereignis von ganz hinten in der Menge, weil unser Vater immer darauf bestand, bei Bedarf rasch verschwinden zu können. Selbst bei Baseball-Spielen parkten wir in der Nähe des Ausgangs und verließen das Stadion nach dem achten Inning, Go und ich ein berechenbares Pärchen senfverschmierten Geheuls, jammernd und sonnenfiebrig: Nie kriegen wir den Schluss zu sehen . Aber diesmal war unser entfernter Standort gar nicht schlecht, denn so konnten wir das Event in vollem Ausmaß genießen: die ungeduldige Menge, die kollektiv von einem Fuß auf den anderen trat, den Bürgermeister auf einem rot-weiß-blauen Podium, die vollmundigen Worte – Stolz, Wachstum, Wohlstand, Erfolg –, die über uns hinwegrollten, Soldaten auf dem Schlachtfeld des Materialismus, bewaffnet mit vinylgebundenen Scheckbüchern und gesteppten Handtaschen. Die sich öffnenden Türen. Der Ansturm auf die kühle Klimaanlagenluft, auf die Musikberieselung, die lächelnden Verkäufer und Verkäuferinnen – unsere Nachbarn. An diesem Tag erlaubte mein Vater uns sogar reinzugehen, stellte sich tatsächlich in eine Schlange und kaufte etwas für uns: verschwitzte Pappbecher, bis obenhin mit Orange Julius gefüllt.
Ein Vierteljahrhundert lang war die Riverway Mall eine Institution. Dann schlug die Rezession zu und machte einem Laden nach dem anderen den Garaus, bis schließlich das ganze Zentrum pleite war. Heute sind es an die zweihunderttausend Quadratmeter Echo, das niemand haben will. Keine Firma tauchte auf, um einen Anspruch darauf zu erheben, kein Geschäftsmann versprach eine Auferstehung, niemand wusste, was man damit anfangen oder was aus all den Menschen werden sollte, die hier gearbeitet hatten, einschließlich meiner Mutter, die ihren Job bei Shoe-Be-Doo-Be verloren hatte – zwei Jahrzehnte Knien und Kneten, Schachteln Sortieren und feuchte Strümpfe Einsammeln, einfach kommentarlos verschwunden.
Der Niedergang der Mall trieb Carthage praktisch in den Bankrott. Menschen verloren ihre Jobs und ihre Häuser. Niemand konnte einen Hoffnungsschimmer am Horizont ausmachen. Nie kriegen wir den Schluss zu sehen. Diesmal hatte es den Anschein, dass Go und ich ihn endlich einmal mitkriegen würden. Wir alle.
Der Bankrott passte genau zum Zustand meiner Psyche. Mehrere Jahre schon war ich total gelangweilt gewesen. Nicht die Langeweile eines nörgelnden, rastlosen Kindes (obgleich ich darüber durchaus nicht erhaben war), sondern ein kompaktes, erstickendes Krankheitsgefühl. Es kam mir vor, als könnte es nie wieder etwas Neues für mich zu entdecken geben. In unserer Gesellschaft war nichts Originäres mehr, nur Derivate – alles absolut und ruinös unoriginell (obwohl unoriginell , wenn man es als Kritik verwendet, ja im Grund selbst unoriginell ist). Wir waren die ersten menschlichen Wesen, die nichts mehr wirklich zum ersten Mal sahen. Wir glotzten auf die Wunder der Welt, mit glasigen Augen, letztlich unbeeindruckt. Mona Lisa, die Pyramiden,
Weitere Kostenlose Bücher