Gone Girl - Das perfekte Opfer: Roman (German Edition)
wieder freigegeben – vermutlich war es ordentlich bearbeitet, gestaubsaugt und erfasst worden –, also ließ ich mich von einer älteren freiwilligen Sucherin mitnehmen, einer geschäftigen großmütterlichen Frau, die es ein bisschen nervös zu machen schien, mit mir allein zu sein.
»Ich fahre Mr. Dunne nur schnell zum Polizeirevier, aber in einer knappen halben Stunde bin ich wieder da«, informierte sie eine ihrer Freundinnen. »Dauert bestimmt nicht länger als eine halbe Stunde.«
Gilpin hatte Amys zweite Botschaft nicht als Beweis aufgenommen, er war von der Unterwäsche viel zu begeistert gewesen, um sich noch darum zu kümmern. Ich stieg in mein Auto, riss die Tür auf, und während die Hitze langsam erträglicher wurde, las ich noch einmal den zweiten Hinweis meiner Frau:
Stell dir vor: ich bin verrückt nach dir,
Meine Zukunft liegt gar nicht verschwommen vor mir.
Du hast mich hierhergebracht, damit ich deine Kindheit sehe
Und deine Jungsabenteuer mit löchrigen Jeans und Schirmmütze verstehe.
Die andern vergessen wir, die sind uns egal,
Komm küss mich … so, wie ganz früher einmal.
In Hannibal, Missouri, der Stadt, wo Mark Twain seine Kindheit verbrachte, hatte ich als Jugendlicher im Sommer gearbeitet, war als Huck Finn verkleidet durch die Straßen gewandert, mit einem alten Strohhut und künstlich ausgefransten Hosen, hatte gegrinst wie ein kleiner Schlingel und die Leute animiert, den Ice Cream Shoppe zu besuchen. Mit dieser Geschichte konnte man in New York Eindruck schinden, wenn man mit Freunden essen ging, denn keiner hatte auch nur etwas annähernd Vergleichbares vorzuweisen. Niemand konnte sagen: O ja, ich auch.
Der Kommentar mit der Schirmmütze war ein kleiner Insiderscherz: Als ich Amy zum ersten Mal erzählte, dass ich Huck gespielt hatte, saßen wir bei der zweiten Flasche Wein in einem Restaurant, und Amy war wundervoll angeheitert. Breites Grinsen und gerötete Wangen, wie immer, wenn sie Alkohol trank, und sie beugte sich weit über den Tisch, als hätte ich einen Magneten an mir. Immer wieder wollte sie wissen, ob ich die Schirmmütze denn noch hätte, ob ich sie mal für sie aufsetzen würde, und als ich sie fragte, warum in aller Welt sie dachte, Huck Finn hätte eine Schirmmütze auf dem Kopf gehabt, da schluckte sie einmal und sagte: »Oh, ich meinte natürlich einen Strohhut!« Als wären die beiden Ausdrücke austauschbar. Danach machten wir, wenn wir uns im Fernsehen ein Tennismatch anschauten, den Spielern immer Komplimente für ihre sportlichen ›Strohhüte‹.
Aber Hannibal war für Amy trotzdem eine sonderbare Wahl, denn soweit ich mich erinnern konnte, gab es für uns dort weder besonders positive noch besonders negative Erlebnisse – wir waren einfach nur da gewesen, vor knapp einem Jahr. Wir sind in Hannibal herumspaziert, haben uns gegenseitig auf alle möglichen Dinge aufmerksam gemacht und irgendwelche Schilder vorgelesen. »Schau mal, das ist ja interessant«, sagte der eine, und der andere pflichtete ihm bei: »Aber echt.« Ich war seither nur noch einmal dort gewesen – ohne Amy – (meine nostalgische Ader ist nicht auszurotten), ein wunderschöner Tag. Ein Tag mit einem breiten Grinsen, einverstanden mit der Welt. Mit Amy war es ein bisschen steif gewesen, Routine. Ein bisschen peinlich. Ich erinnere mich, dass ich irgendwann anfing, eine alberne Geschichte über einen Ausflug zu erzählen, den ich als Kind hierher gemacht hatte, und als ich in Amys Augen ihr Desinteresse sah, wurde ich innerlich stinksauer und verbrachte zehn Minuten damit, mich noch mehr reinzusteigern – denn zu diesem Zeitpunkt unserer Ehe war ich es so gewohnt, mich über sie zu ärgern, dass ich es beinahe genoss, ein bisschen wie Nägelkauen: Man weiß, dass man damit aufhören sollte, man weiß, dass es sich nie so gut anfühlt, wie man denkt, aber man kann es trotzdem nicht lassen. Natürlich ließ ich nichts davon nach außen dringen. Wir gingen einfach weiter, lasen Schilder und machten uns auf dieses und jenes aufmerksam.
Dass meine Frau gezwungen war, ausgerechnet Hannibal für ihre Schatzsuche auszuwählen, war wie eine ziemlich schreckliche Mahnung: So wenige schöne Erinnerungen hatten wir, seit wir umgezogen waren.
In zwanzig Minuten war ich da, fuhr an dem prächtigen Gerichtsgebäude aus dem Vergoldeten Zeitalter vorbei, das jetzt nur noch im Keller eine Hühnerflügel-Braterei beherbergte, weiter an einer Reihe Geschäfte mit heruntergelassenen
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