GONE Hunger
dieser Entsorgungsanstalt für Problemkinder, hatte es sich als nützlich erwiesen, von den anderen gefürchtet zu werden.
In Coates hatte Dekka zu keiner Clique gehört und auch keine Freunde gehabt. Sie hatte sich unauffällig verhalten, gute Noten bekommen, die Regeln befolgt und sich um ihre eigenen Angelegenheiten gekümmert.
Das hieß aber nicht, dass ihr entgangen war, was um sie herum passierte. So hatte sie früher als die meisten erkannt, dass sich manche der Coates-Schüler auf eine Weise veränderten, die logisch nicht erklärbar war, und dass Caine Soren eine wahrhaft beängstigende Kraft entwickelte. Bei Drake Merwin war ihr schon lange vorher klar gewesen, dass er ein gefährlicher Psychopath war. Und natürlich war ihr Diana aufgefallen. Die schöne, verführerische und alles durchschauende Diana Ladris.
Dekka hatte die Anziehungskraft des Mädchens sofort gespürt. Diana hatte mit ihr gespielt und ihr Hoffnungen gemacht, um sie im nächsten Moment zu verhöhnen. Aber sie hatte Dekkas Geheimnis nicht verraten.
Diana wusste ein Geheimnis zu wahren. Und sei es nur, weil es sich irgendwann als nützlich erweisen könnte.
In Coates hatte sie Brianna kaum wahrgenommen. In Brianna hatte sie sich erst verliebt, nachdem Caine und Drake beschlossen hatten, die Freaks unschädlich zu machen.
Es war Zufall gewesen, dass Dekka und Brianna mit ihren Zementblöcken nebeneinandergestanden hatten. Wochenlang hatten sie wie Tiere Seite an Seite aus demselben Trog gefressen. Damals hatte Dekka begonnen, Briannas ungebrochenen Widerstandsgeist zu bewundern.
Sie ließ sich nicht unterkriegen. Wenn sie am Boden lag, stand sie wieder auf. Das liebte Dekka an ihr.
Ihr war völlig klar, dass daraus nie etwas werden würde. Brianna stand eindeutig auf Jung s – und hatte offenbar einen miserablen Geschmack.
Edilio schreckte Dekka aus ihren Gedanken. »Die Geisterstadt liegt gleich da vorne. Mach dich bereit.«
»Wofür?«, brummte sie. »Bis jetzt hat mir kein Mensch was erklärt. Ich weiß nur, dass ich irgendeine Höhle zum Einsturz bringen soll.«
Auf Edilios Schoß lag eine Waffe. Er entsicherte sie, dann zog er unter seinem Oberschenkel eine Pistole hervor, entsicherte sie ebenfalls und reichte sie Dekka.
»Edilio, du machst mir Angst.«
»Zum Schutz gegen die Kojoten«, sagte Edilio. »Oder gegen Schlimmeres.«
»Was soll das heißen?«
Edilio drosselte das Tempo. Sie fuhren auf der Hauptstraße einer ehemaligen Stadt, deren Häuser längst eingestürzt waren. Zwischen den Trümmerhaufen ragte ab und zu eine hölzerne Fassade aus dem Staub, deren verblichener Farbanstrich noch zu sehen war.
»Spürst du es nicht?«, fragte Edilio.
Ja, sie spürte es. Schon eine ganze Weile, ohne zu wissen, was es war.
»Wie nah musst du ran, um dein Ding durchzuziehen?«
Als Dekka antworten wollte, stellte sie fest, dass ihr Mund staubtrocken und ihr Rachen wie zugeschnürt war. Sie räusperte sich und versuchte es noch einmal: »Ziemlich nah.«
Der Jeep erreichte den Fuß des Pfads. Edilio wendete den Wagen und ließ den Schlüssel stecken. »Ich möchte nicht erst danach kramen müssen«, sagte er. »Hoffentlich haben die Kojoten nicht gelernt, wie man Autos klaut.«
Als Dekka zögerlich aus dem Wagen stieg, sah Edilio sie verständnisvoll an.
»Ich weiß noch nicht einmal, wovor ich mich genau fürchte«, meinte sie.
»Was auch immer es ist, wir werden es töten.«
Sie stapften den Pfad hinauf und stießen nach wenigen Minuten auf den von Fliegen bedeckten Kadaver eines Kojoten.
»Ein Mistvieh weniger«, murmelte Edilio.
Sie gingen weiter. Edilio hielt seine Waffe im Anschlag und schwenkte den Lauf langsam von einer Seite zur anderen. Die Pistole in Dekkas Hand wog schwer. Ihre Augen achteten auf jeden Felsen, spähten in jede Ritze, ihr ganzer Körper war zum Zerreißen gespannt.
Sie gewannen an Höhe und schließlich lag der Eingang zur Mine vor ihnen.
»Schaffst du es von hier aus?«, flüsterte Edilio.
»Nein, ich muss noch näher ran.«
Ihre Füße schleppten sich durch Sand und Schotter, als wäre es klebriger Sirup. Alles geschah wie in Zeitlupe. Edilios Finger lag krampfhaft zuckend auf dem Abzug. Dekka schlug das Herz bis zum Hals.
Näher.
Nah genug.
Dekka blieb stehen. Edilio wandte sich zur Seite und richtete seine Waffe auf zwei Kojoten, die wie von Zauberhand oberhalb des Minenschachts aufgetaucht waren.
Dekka steckte ihre Pistole hinten in den Hosenbund. Sie erinnerte sich vage daran,
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