GONE Hunger
sagen will: Nach allem, was Sam, Edilio und Albert beobachtet haben, dürfte es tatsächlich so sein, dass sie in ihrem Revier bleiben, im Kohlfeld.«
»Ach ja?«, erwiderte Howard. »Zufällig kenne ich jemanden, der durch das Feld marschieren könnte, ohne einen Kratzer abzubekommen.«
Das war es also, dachte Sam. Bei Howard lief unweigerlich alles auf Orc hinaus.
»Orc könnte wirklich unverletzbar sein«, meinte er.
»Und?«
»Und?«, echote Howard und grinste höhnisch. »Orc kann die Kohlköpfe für dich pflücken, Sammy, aber nur gegen Bezahlung.«
»Bier?«
Howard nickte. »Er mag das Zeug. Ich finde es ekelhaft, aber als Orcs Manager müsstet ihr mir auch was geben.«
Sam knirschte mit den Zähnen. Andererseits konnte das die Lösung ihres Problems sein. An Bier hatten sie in Ralphs Laden noch einen großen Vorrat.
»Wenn Orc es versuchen möchte, hab ich kein Problem damit«, sagte Sam. »Besprich es mit Albert.«
Astrid hatte sehr wohl ein Problem damit. »Sam, Orc ist Alkoholiker. Du willst ihm Bier geben?«
»Eine Dose Bier für einen Tag Arbeit. Damit kann er sich nicht mal betrinke n …«
»Vergiss es«, fiel ihm Howard ins Wort. »Orc braucht eine Kiste pro Tag. Mann, das ist Schwerstarbeit, bei der Hitze da draußen Kohlköpfe zu pflücken.«
Sam warf Astrid einen raschen Blick zu. Ihre Miene war eisig. Aber Sam musste eine ganze Stadt ernähren. Orc war vielleicht wirklich unverwundbar. Außerdem war er so stark, dass Sam ihm zutraute, in einer Woche vierzehn Tonnen Kohl zu ernten.
»Wie schon gesagt, besprich es nachher mit Albert«, erwiderte Sam.
Astrid war sichtlich wütend, setzte sich aber wieder hin. Howard grinste triumphierend.
Sam seufzte. Die Versammlung lief nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte. Ihm war klar, dass er es mit Kindern zu tun hatte, und er war es gewohnt, dass die Kleineren zwischendurch störten und rumalberten. Aber dass so viele von den Dreizehn- und Vierzehnjährigen nicht einmal aufgekreuzt waren, fand er deprimierend.
Zu allem Übel wurde sein eigener Hunger durch das viele Reden über Essen nur noch schlimmer.
»Hört zu! Ich gebe jetzt eine neue Regel bekannt. Sie hört sich brutal an, ist aber nötig.«
Das Wort »brutal« ließ alle aufhorchen.
»Es geht nicht, dass ihr den ganzen Tag nur rumhängt, Computerspiele spielt und euch DVDs reinzieht. Wir brauchen euch auf den Feldern. Daher Folgendes: Alle, die sieben oder älter sind, müssen an drei Tagen in der Woche Obst oder Gemüse ernten. Albert sorgt dafür, dass das Zeug eingefroren oder eingekocht wird.«
In der Kirche herrschte absolute Stille.
Alle starrten Sam an.
»Morgen stehen zwei Schulbusse bereit. In jeden passen ungefähr fünfzig Kids. Wir werden Melonen ernten und das ist viel Arbeit. Holt eure Brüder und Schwestern und Freunde und alle, die älter als sieben sind, und seid morgen um acht Uhr auf der Plaza.«
»Aber wa s …?«
»Seid einfach da.«
Sam stieg die Stufen hinunter und verließ die Kirche. Er wusste jetzt schon, dass nur wenige Kids seinem Aufruf folgen würden.
Sieben
88 Stunden, 54 Minuten
»Fahr rechts ran, Panda!«, befahl Drake.
»Wieso?« Panda saß hinter dem Steuer des SUV.
»Weil ich es sage«, antwortete Drake gereizt.
Die Wanze wusste, warum sie anhielten und warum Drake nervös war. Auf der Schnellstraße zum Kraftwerk zu fahren, war zu riskant. In den drei Monaten, die Caine halluzinierend in der Hütte gelegen hatte, war die Coates-Fraktion immer schwächer geworden, während die Leute in Perdido Beach ganz gut über die Runden gekommen waren. Drake hatte zwar den Überfall auf Ralphs Laden durchgezogen, aber noch so ein Wagnis würde er nicht eingehen.
Die Wanze war in den letzten Wochen einige Male in Perdido Beach gewesen. Dort gingen die Vorräte zwar auch zur Neige, es gab aber immer noch mehr zu essen als in Coates. Trotzdem waren diese heimlichen Besuche der reinste Frust gewesen: Klauen ging nicht, da sich seine Tarnkraft nicht auf Dinge übertrug, die er in die Hand nahm.
»Okay, Wanze. Von hier aus gehen wir zu Fuß«, sagte Drake. Er stieß die Tür auf und stieg aus. Die Wanze folgte ihm.
Eigentlich hieß die Wanze Tyler. Zu dem Spitznamen war der Junge lange vor der FAYZ gekommen, als er an seiner alten Schule die Lehrer-Eltern-Gespräche heimlich auf Band aufgenommen und anschließend über Facebook ins Netz gestellt hatte. Er hatte damit alle Mitschüler blamiert, die unter psychischen Problemen litten oder
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