GONE Lügen
schmalen Finger flach auf der Platte.
Dekka fläzte sich in ihren Sessel. Sie schien verärgert, obwohl schwer zu sagen war, gegen wen sich ihre schlechte Laune richtete. Etwas Blaues hatte sich in ihren kurzen Dreads verfangen, es wäre aber niemandem eingefallen, sie darauf hinzuweisen.
Dekka war wie er eine Mutantin. Sie konnte die Schwerkraft aufheben. Sam zählte auf sie als Verbündete, zumal sie nicht zu den Leuten gehörte, die erst ohne Ende redeten und dann nichts auf die Reihe bekamen.
Albert war wie immer der Einzige in der Runde, der wie aus dem Ei gepellt aussah. Er trug ein erstaunlich sauberes und augenscheinlich ungesalzenes Polohemd über einer faltenfreien Stoffhose. Auf Sam wirkte er wie ein sehr junger Geschäftsmann, der auf dem Weg zum Golfplatz kurz mal hereinschaute.
Albert war zwar ein Normaler, aber er verfügte über ein beinahe übernatürliches Organisationstalent. Er ließ sich nicht beirren, wenn er sich etwas vornahm, und machte auch noch Geschäfte dabei. Für Sam, der die anderen durch seine halb geschlossenen Lider beobachtete, war Albert der mächtigste Mensch im Raum.
Edilio saß nach vorne gebeugt da, den Kopf in beide Hände gestützt und ohne irgendjemanden anzusehen. Sein Maschinengewehr lehnte neben ihm am Sessel, ein inzwischen völlig normaler Anblick.
Edilio war der Polizeichef der Stadt. Als der Sanfteste und Bescheidenste von allen Mitgliedern im Rat sollte er dafür sorgen, dass die verabschiedeten Gesetze eingehalten wurden. Sofern sie sich je dazu durchrangen, auch wirklich welche zu verabschieden.
Howard war der Joker der Gruppe. Sam wusste bis jetzt nicht, wie er es geschafft hatte, in den Rat aufgenommen zu werden. Niemand bezweifelte, dass Howard clever war, es glaubte aber keiner, dass Howard auch nur einen Funken von Anstand in sich trug. Er war der beste Kumpel von Orc, dem finsteren, dauerbetrunkenen und zum Monster mutierten Jungen, der ein paarmal, als es darauf ankam, auf der richtigen Seite gekämpft hatte.
Das jüngste Ratsmitglied war ein hübscher Junge namens John, auch ein Normaler und Marys kleiner Bruder. Er hatte selten etwas zu sagen und hörte die meiste Zeit nur zu. Alle gingen davon aus, dass er so abstimmte, wie Mary es ihm auftrug. Mary wäre auch im Rat gewesen, aber sie war in der Kita unabkömmlich.
Sieben Ratsmitglieder. Astrid, die Vorsitzende. Fünf Normale und zwei Mutanten.
»Gestern Nacht sind mehrere Dinge passiert.« Sam bemühte sich, möglichst ruhig zu klingen, weil er keinen Streit vom Zaun brechen wollte. Schon gar nicht mit Astrid. Astrid war das personifizierte Gute in seinem Leben, er liebte sie und brauchte sie mehr, als er jemals zugegeben hätte.
Doch jetzt blickte sie ihn mit vor Wut blitzenden Augen an.
»Von Jill wissen wir«, sagte sie.
»Zils Nazis würden sich so was längst nicht mehr erlauben, wenn wir uns um sie gekümmert hätten«, brummte Dekka.
»Das haben wir abgestimmt«, erwiderte Astrid.
»Ja, ich weiß. Vier gegen drei waren dafür, dass wir diesen Scheißkerl und seine hirnverbrannten Kumpel in aller Ruhe die ganze Stadt terrorisieren lassen«, ereiferte sich Dekka.
»Vier gegen drei waren dafür, dass wir zuallererst ein System und Gesetze brauchen und Feuer nicht mit Feuer bekämpfen.«
»Wir können die Leute nicht verhaften, solange wir kein System haben«, wandte Albert ein.
»Genau, Sammy«, meinte Howard mit einem hämischen Grinsen. »Du kannst mit deinen Laserhänden nicht einfach drauflosballern, nur weil dir jemand unsympathisch ist.«
Dekka änderte ihre Position und spannte die Schultern an. »Nein, lieber sehen wir tatenlos zu, wie kleine Mädchen aus ihren Häusern geworfen und zu Tode geängstigt werden.«
»Okay. Ein für alle Mal: Unser System kann nicht so aussehen, dass Sam Richter, Geschworener und Henker in einer Person ist«, sagte Astrid. Sie entschärfte ihre Worte, indem sie hinzufügte: »Wenn es einen Menschen gibt, dem ich blind vertraue, dann ist er es. Das wisst ihr. Aber wir müssen dafür sorgen, dass jeder Einzelne in der FAYZ begreift, was er tun darf und was nicht. Wir brauchen Regeln und nicht bloß eine Person, die willkürlich beschließt, wer hier was darf.«
»Er war ein echt guter Arbeiter«, flüsterte John. »Francis. Er war richtig gut. Die Kleinen werden ihn so vermissen. Sie lieben ihn.«
»Davon weiß ich erst seit gestern Nacht. Eigentlich erst seit den frühen Morgenstunden«, sagte Sam und beschrieb kurz, was er am Strand gesehen
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