GONE Lügen
durch und durch böse zu sein. Drake war Caines Henker gewesen. Er hatte Astrid gekidnappt. Sie unter Drohungen und mit Schlägen dazu gebracht, ihren Bruder lächerlich zu machen.
Er hatte ihr Haus niedergebrannt und sie beinahe umgebracht.
Sam hatte er mit seiner Peitsche bewusstlos geprügelt.
»Drake ist tot«, sagte sie um Fassung ringend.
»Ja«, stimmte Taylor ihr zu. »Ich gebe bloß weiter, was Frankie rumerzählt. Er sagt, er hat gesehen, wie Drake am Strand entlanglief. Mit seiner Peitschenhand. Er war von oben bis unten voller Dreck und trug Kleider, die ihm nicht gepasst haben.«
Astrid seufzte. »Das passiert, wenn Kinder zu trinken anfangen.«
»Auf mich wirkte er nüchtern«, sagte Taylor achselzuckend. »Ich weiß nicht, ob er betrunken oder durchgeknallt war oder einfach nur Ärger anzetteln wollte, okay? Lass es also nicht an mir aus. Ich dachte, das ist mein Job: die Augen offen halten und Sa m – oder di r – berichten, wenn mir was auffällt.«
»Danke«, erwiderte Astrid.
»Ich erzähl es Sam, sobald ich ihn sehe.«
Astrid war sich bewusst, dass Taylor sie provozieren wollte, ließ es aber trotzdem zu. »Erzähl ihm, was du willst, das hier ist immer noch ein freie s …« Sie wollte »Land« sagen, biss sich dann aber auf die Lippe. »Du kannst Sam erzählen, was du willst.«
Doch Taylor hatte sich bereits in Luft aufgelöst und Astrid sprach in den leeren Raum.
Elf
47 Stunden, 53 Minuten
In den Nachrichten sprachen sie von der Perdido-Beach-Anomalie. Der Anomalie. Oder der Kuppel.
Nicht von der FAYZ, obwohl alle wussten, dass die in der Kuppel gefangenen Kinder sie so nannten.
Die Eltern, Angehörigen und alle anderen, die sich am Südrand der Kuppel in einem eigens dafür eingerichteten Besichtigungsbereich eingefunden hatten, nannten sie das Goldfischglas. Manchmal auch nur die Glaskugel. Denn so bot sich die FAYZ denjenigen dar, die diesseits der Wand in Zelten im Schlafsack schliefen und von ihren Kindern auf der anderen Seite »träumten«: als Fischglas. Sie hatten eine ungefähre Vorstellung davon, was in der Glaskugel passierte, doch die kleinen Fische, ihre Kinder, hatten nicht die geringste Ahnung, was sich außerhalb tat.
In der Umgebung wurde hektisch gebaut. Der US-Bundesstaat Kalifornien beeilte sich, eine Umgehungsstraße zum Highway zu bauen, da die alte Straße in der Kugel verschwand und erst vierzig Kilometer weiter wieder hervortrat. Für die Fremdenverkehrsbetriebe an der Küste eine Katastrophe.
Im Süden der Kuppel wuchsen Filialen großer Hotel- und Restaurantketten aus dem Boden, denn irgendjemand musste sich ja um die Touristen und Schaulustigen und ihre Bedürfnisse kümmern. Zwei Hotels standen bereits.
Wenn ihr besonders zynisch zumute war, dachte Connie Temple, dass sich die Bauunternehmer in Kalifornien die Hände reiben mussten. Für sie entpuppte sich die Glaskugel buchstäblich als Goldgrube.
Auch die Politiker schienen ihre Freude daran zu haben. Der Gouverneur war bereits fünf Mal mit einem ganzen Tross an Journalisten angefahren und hatte Reden geschwungen, und am Strand reihten sich immer noch die Satellitenwagen der Fernsehsender aneinander wie die Ölsardinen in der Dose.
Ihr fiel aber auch auf, dass die Zahl der Reporter und Satellitenwagen von Tag zu Tag schwand. Zu Beginn hatte die Welt mit Schock und Fassungslosigkeit reagiert, doch dann war das Mitgefühl hemmungsloser Schaulust gewichen, und schließlich war das eingetreten, was alle befürchtet hatten: Das Unglück war zu einem Geschäft geworden, zu einer Touristenattraktion.
Connie Templ e – oder Schwester Temple, wie sie in den Medien genannt wurd e – war eine der beiden Sprecherinnen, die im Namen der Familien auftraten.
Die Familie n – das war das Kürzel für all jene, deren Kinder in der Glaskugel festsaßen. Vertreten durch Connie Temple und Abana Baidoo.
Als sie noch nicht wissen konnten, was im Inneren der Glaskugel los war, war es leichter gewesen. Anfangs war nur klar, dass etwas Schreckliches passiert war. Dann wurde nach Erklärungen gesucht und es war sehr bald von einem undurchdringlichen Energiefeld die Rede, das eine Kuppel mit einem Durchmesser von vierzig Kilometern gebildet hatte und in dessen Epizentrum das Kernkraftwerk lag.
Inzwischen gab es unzählige Theorien. Die besten Wissenschaftler aus aller Welt waren eingeflogen worden und hatten Tests durchgeführt und Messungen vorgenommen. Sie hatten die Wand mit Bohrern bearbeitet, es mit
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