GONE Lügen
Leukämie.«
Sanjit bemerkte, dass seinem Bruder beim letzten Wort Tränen in die Augen schossen. »Mann, Choo. Leukämie? Das ist was Ernstes, nicht wahr?«
»Ich kann nur nach dem Buch gehen. Das meiste kann ich nicht einmal aussprechen. Außerdem steht unglaublich viel dri n – es könnte das sein oder was ganz anderes. Ich meine, wie soll das irgendwer verstehen?«
»Leukämie«, wiederholte Sanjit.
»Hey, tu jetzt nicht so, als käme das von mir, okay? Das ist nur eine Möglichkeit von vielen. Wahrscheinlich hab ich es mir nur deshalb gemerkt, weil es eins der Wörter ist, die ich aussprechen kann.«
Sanjit blickte hinunter zur Jacht.
»Der Hubschrauber ist unsere einzige Chance«, sagte Virtue leise. Obwohl das sonst nicht seine Art war, berührte er Sanjit am Oberarm, bevor er hinzufügte: »Mann, ich weiß, dass du Angst hast. Ich ja auch. Aber du bist Sanjit, der Unbesiegbare. Du magst vielleicht nicht der Klügste sein, aber bis jetzt hattest du immer Glück.«
»Ich bin also nicht der Klügste?«, erwiderte Sanjit. »Du würdest aber mit mir fliegen. Wie klug bist dann du?«
Als Astrid in ihr Büro im Rathaus kam, setzte sie den kleinen Pete in eine Ecke. Er hielt den Blick starr auf den schwarzen Bildschirm seines Gameboy gerichtet und drückte auf die Tasten, als funktionierte das Spiel noch. Vielleicht tat es das ja auc h – zumindest in seiner Fantasie.
Das Büro hatte früher dem Bürgermeister gehört und war auch eine Zeit lang von Sam benutzt worden.
Sie hatte immer noch eine Stinkwut auf ihn. Es war nicht ihr erster Streit und sicher nicht ihr letzter. Sie waren beide stur und eigensinnig, da ließ es sich wahrscheinlich gar nicht vermeiden, dass sie sich ab und zu in die Haare kriegten. Aber so wie vorhin hatten sie sich noch nie gestritten.
Sam hatte seine paar Habseligkeiten geschnappt und war ausgezogen. Vermutlich in eins der leer stehenden Häuser.
»Ich hätte das nicht sagen sollen«, murmelte sie leise vor sich hin, während sie die Liste mit unerledigten Dingen überflog. Lauter Dinge, die nötig waren, um Perdido Beach am Leben zu erhalten.
Die Tür ging auf. Astrid hob den Kopf. Sie fürchtete und hoffte zugleich, dass es Sam war. Es war aber Taylor.
»Ich wusste gar nicht, dass du auch ganz normal durch die Tür kommen kannst«, sagte sie und bereute sofort ihren zickigen Tonfall. Dass Sam ausgezogen war, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben. In Perdido Beach verbreiteten sich Neuigkeiten mit Lichtgeschwindigkeit. Und es dürfte wohl kein spannenderes Tratschthema geben als ihre Beziehungskrise.
»Ich weiß, wie sehr es dich nervt, wenn ich einfach auftauche«, antwortete Taylor.
»Stimmt, es hat etwas Irritierendes.«
Taylor breitete beschwichtigend die Hände aus. »Siehst du? Deshalb bin ich zu Fuß hereingekommen.«
»Als Nächstes könntest du dir angewöhnen, auch noch anzuklopfen.«
Astrid und Taylor konnten einander nicht ausstehen. Beide standen auf Sam, und Astrid war sich sicher, dass Taylor ihr den Freund ohne Skrupel ausspannen würde. Zweifellos rieb sie sich gerade innerlich die Hände.
Doch sie musste mit Taylor klarkommen, denn das Mädchen konnte sich von einem Ort zum anderen teleportieren und war daher extrem wichtig.
Sie ist nicht Sams Typ, dachte Astrid. Taylor war hübsch, aber jünger, und für Sam, der starke, unabhängige Mädchen mocht e – auch wenn er das momentan bestreiten würd e –, nicht einmal annähernd tough genug.
Brianna käme für Sam wahrscheinlich eher infrage. Oder Dekka, wenn sie auf Jungs stünde.
Astrid schob genervt die Liste beiseite. Wieso quälte sie sich eigentlich mit solchen Gedanken? Sam war ein Idiot. Aber er würde zu ihr zurückkommen. Früher oder später würde ihm klar werden, dass sie Recht hatte. Dann würde er sich entschuldigen und wieder bei ihr einziehen.
»Was gibt’s, Taylor?«
»Ist Sam hier?«
»Wenn du dem Rat was zu sagen hast, dann kannst du es auch mir sagen. Ich bin hier schließlich die Vorsitzende. Wenn nicht, hau ab und stör mich nicht bei der Arbeit.«
»Ups!«, erwiderte Taylor. »Wir haben doch nicht etwa schlechte Laune?«
»Taylor!«
»Ein Junge behauptet, er hat Peitschenhand gesehen.«
Astrid kniff die Augen zusammen. »Was?«
»Kennst du Frankie? Er sagt, er hat Drake Merwin am Strand gesehen.«
Astrid starrte sie an. Allein die Erwähnung dieses Namens ließ sie frösteln. Drake war ein Junge, der bewiesen hatte, dass man nicht erwachsen sein musste, um
Weitere Kostenlose Bücher