Good Girls
würde gern noch länger hier bleiben, aber meine Schicht fängt um fünf an. Ich muss mich vorher noch zu Hause umziehen.«
»Oh«, sagte ich. Etwas Besseres fiel mir nicht ein. In diesem Moment wurde mir plötzlich bewusst, dass ich mitten auf der Straße stand und im Gegensatz zu ihm nur sehr, sehr spärlich bekleidet war. Ich schlang mir die Arme um meinen Körper. Um mich zu verstecken oder zu trösten oder beides.
»Der Bikini ist wirklich schön«, sagte er.
»Das hast du schon mal gesagt«, erwiderte ich.
Er blinzelte langsam, als wären seine Wimpern aus Blei. »Das kann man ruhig zweimal sagen.«
»Oh«, sagte ich wieder. Da war er wieder, der Feuerball, und drohte meinen Körper, das Wohnviertel und die ganze Welt in Flammen aufgehen zu lassen. Meine Hautzellen schienen voller winziger Magnete, die mich zu ihm hinzogen. Ohne darüber nachzudenken, machte ich zwei Riesenschritte auf ihn zu.
»Na dann, tschüss«, sagte ich, als ich unter seiner Nase stand.
Ich hob mein Gesicht und atmete seinen Geruch ein. »Bekomme ich noch einen Kuss?«
Ich bekam ihn.
Die andere Audrey
Nach eineinhalb Stunden Arbeit plus drei Packungen Haarfarbe, samt einer riesigen Flasche Entwickler, einem Pinsel und einem Handspiegel, damit ich meine Haare von hinten sehen kann, bin ich keine Blondine mehr. Es kostet mich weitere 45 Minuten, sämtliche Spritzer und Farbkleckse, die Waschbecken und Badewanne verunstalten, abzuschrubben. Erst dann nehme ich mir die Zeit, mein Werk in aller Ruhe zu begutachten.
Mein Haar ist nicht unbedingt schmutzbraun, sondern eher so braun wie Kaffeesatz. Im Kontrast zu den dunklen, braunen Haaren sieht meine Haut irgendwie heller, aber auch strahlender aus. Meine Augen glänzen gelb wie Löwenaugen. Und: Ich sehe überhaupt nicht mehr wie ich aus. Aus irgendeinem Grund ist es anders, als wenn man seine Haare in einer künstlichen Farbe wie Grün oder Blau oder Pink färbt. So wie die Jugendlichen, die ihre Haare färben, um ihre Eltern zu ärgern oder alten Damen Angst einzujagen oder allen anderen zu beweisen, dass sie viel wilder und verrückter und einzigartiger sind als sie. Die neue Haarfarbe ist eine Farbe, die es bei Haaren wirklich gibt. Sie könnte also echt sein. Ich könnte dieses Mädchen mit den kaffeebraunen Haarensein, diese andere Audrey, ein Spiegelbild meiner selbst. Ein Mädchen, das sich nicht von Luke DeSalvio magisch angezogen fühlt und deshalb auch niemals mit ihm »sexuell aktiv« war und dessen Foto nicht im Internet die Runde macht. Ein Mädchen, das nie vor der gesamten Schule und seinen Eltern gedemütigt wurde. Um drei Uhr gehe ich ins Bett, mit Stevie, dem Schnurrmonster auf meiner Brust. Ich schlafe zum ersten Mal seit Tagen sofort ein.
Vier Stunden später schleppe ich mich, mit Stevie auf den Fersen, nach unten. Meine Eltern sitzen am Frühstückstisch und unterhalten sich leise. Als ich den Raum betrete, verstummen sie abrupt. Meine Eltern haben beide braunes Haar. Für sie waren meine blonden Haare immer etwas Besonderes. Wie ein Geschenk, das sie zu meiner Geburt bekommen hatten.
Sie sind nicht besonders erfreut.
»Audrey!«, ruft Mom.
»Deine Haare!«, sagt Dad.
Ich schnappe mir die Box mit Frühstücksflocken und lasse mich auf meinen Platz fallen. Stevie springt auf den Tisch und Dad verscheucht ihn. »Das wächst wieder raus, okay? Bitte macht jetzt kein Theater.«
Sie sehen sich an, dann wieder mich. »Aber deine Haare waren so schön«, sagt Dad.
»Sind sie immer noch«, erwidere ich.
Er weiß nicht, was er darauf antworten soll.
Einige Minuten später bemerkt Mom: »Die Farbe betont deine Augen.«
»Danke, Mom.«
»Wenn du dir die Haare noch mal färbst, solltest du dir vielleicht ein paar rote Strähnchen machen.«
»Rote was? Wovon redest du?«, fragt Dad. »Warum …« Er setzt noch mal an. »Warum hast du dir die Haare gefärbt?«
»Einfach so. Diese verrückte Verkäuferin im Drogeriemarkt hat es mir aufgeschwatzt. Wenn es mir nicht mehr gefällt, kann ich sie ja wieder blond färben. Oder sie abrasieren.«
»Sie abrasieren?« Dad macht sich jetzt wirklich Sorgen.
»Sie wird sie nicht abrasieren, John«, sagt Mom.
»Woher willst du das wissen?«, sage ich.
Meine Mutter seufzt und verdreht die Augen. Das habe ich schon länger nicht mehr gesehen und ich fühle mich schon besser. Leider hält das Gefühl nicht lange an, weil sie hinzufügt: »Vergiss nicht, dass du Ende nächster Woche deinen Arzttermin hast.«
Im Auto ist Ash
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