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Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Titel: Goodbye Chinatown: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Kwok
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gehabt hatte: Die Gegend, in der meine Schule lag, war nicht annähernd so schlecht wie unser Wohnviertel. Das nämlich war ein »sozialer Brennpunkt«, wie ich inzwischen gelernt hatte.
    In vielerlei Hinsicht betrachtete ich mich als eins der schwarzen Kinder. Die weißen Kinder hatten belegte Brote in braunen Papiertüten dabei. Die beiden weißen Jungs saßen an einem separaten Pult zusammen und blieben für sich. Ich aß das kostenlose warme Mittagessen zusammen mit den schwarzen Kindern, und Annette war das einzige weiße Kind an unserem Tisch. Letztendlich lebte ich ja auch in einem schwarzen Viertel. Dennoch waren die schwarzen Kinder miteinander befreundet, und ich nicht. Sie sprachen ein schnelles, müheloses Englisch, sangen dieselben Lieder auf dem Schulhof und kannten dieselben Gummitwistspiele. Ein beliebtes Lied ging so: Er sieht aus wie ein Affe und riecht auch so. Wir hassen Sie, Mr Bogart, und Ihren Unterricht sowieso.
    Die anderen Kinder hielten mich natürlich für seltsam. Mit meinen selbst genähten, schlecht sitzenden Kleidern und meinem jungenhaften Haarschnitt passte ich einfach nicht zu ihnen. Mama schnitt mir die Haare, sobald sie den Nacken erreichten. Sie behauptete, es sei praktischer so, weil sie in unserer eisigen Wohnung schneller trockneten. Die meisten schwarzen Kinder in meiner Klasse waren zwar ebenfalls arm, hatten aber wenigstens gekaufte Klamotten. Einige von ihnen wohnten in einem hohen Wohnblock in der Nähe der Schule, den ich mir auf dem Schulweg irgendwann genauer ansah. Überall lagen Glasscherben auf dem Boden herum, und die Mauern waren mit Graffiti beschmiert (inzwischen hatte ich gelernt, wie man das englische Gekritzel nannte), aber zumindest waren die Gebäude von Sträuchern umgeben und die meisten Fenster unvergittert. Diese Menschen hatten eindeutig Zentralheizung.
    Es gab allerdings auch Kinder, denen es weniger gut ging. Ein Junge verschwand beispielsweise plötzlich, ohne dass irgendjemand etwas über seinen Verbleib wusste, und ein Mädchen
wurde eines Tages mitten im Unterricht von ihrer Mutter abgeholt, die aussah, als wäre sie geschlagen worden. Mr Bogart nahm es, ohne mit der Wimper zu zucken, zur Kenntnis  – er schien daran gewöhnt zu sein. Nach der Schule gab es oft Schlägereien, und einmal sah ich einen Jungen mit einer Schnittwunde über dem Auge, aus der Blut tropfte. Meistens kämpften Jungen gegen Jungen, aber manchmal schlugen sich auch die Mädchen untereinander oder in gemischten Gruppen.
    Meine Klassenkameraden hatten gerade aufgehört, sich gegenseitig zu hassen, und waren in ein Stadium des unbeholfenen Interesses fürs andere Geschlecht übergetreten. Sie zogen sich gegenseitig auf und machten rüpelhafte Bemerkungen. Außerdem waren sie ständig damit beschäftigt, »Läuse« zu spielen: sie sich einzufangen, sie wieder loszuwerden, sich dagegen zu impfen. Die Übertragung von »Läusen« bildete den Vorwand für die Jungen, die Mädchen zu berühren oder sich gegenseitig so fest zu hauen, wie sie konnten. Ich hatte keine Ahnung, was Läuse waren, und endete daher oft als Empfängerin sämtlicher Läuse in der Klasse. Mir war beigebracht worden, niemanden zu berühren, ohne um Erlaubnis zu bitten, deshalb fiel es mir schwer, die Läuse in meinem Besitz wieder loszuwerden. Läuse waren das Einzige, was die Rassengrenzen überschritt.
    Ich war nie ein kränkliches Kind gewesen, aber in diesem Winter fing ich mir eine Grippe und Erkältung nach der anderen ein. Meine Nase war so wund gerieben, dass sich darunter immer wieder neue Schichten aus losen Hautfetzen und kleinen, aufgesprungenen Wunden bildeten. Einen Arzt konnten wir uns nicht leisten. Wenn ich vor Fieber zitterte, blieb ich eben im Bett. Dann kochte Mama Reis mit großen Scheiben Ingwer und wickelte ihn in ein Taschentuch, das
ich mir an den Kopf halten musste, bis es ausgekühlt war, damit der Reis die Bazillen aufsaugte. Außerdem kochte sie Cola mit Zitronen auf und flößte mir das heiße Gebräu ein.
    Sie ging auch zu einem Medizinladen in Chinatown und gab viel Geld für Dinge aus, die ich dann zu Hause essen musste und die alle furchtbar schmeckten: Hirschgeweihe, zerstoßene Grillen, Tintenfischarme, Wurzeln mit menschlich wirkenden Formen. Sie kochte alles in einem Tongefäß, bis der Inhalt auf eine konzentrierte Tasse Flüssigkeit zusammengeschmort war. Obwohl ich protestierte und behauptete, dass mich diese »Medizin« nur noch kränker machte, musste ich die Tasse

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