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Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Titel: Goodbye Chinatown: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Kwok
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Klassenzweite. In Hongkong wurden die Schüler nach Leistung platziert, daher kam Mei Mei jedes Schuljahr direkt hinter mir zu sitzen. Sie wohnte im gleichen Wohnhaus wie ich, und wir spielten oft zusammen. Manchmal machte ich ihr kleine Geschenke wie Aufkleber, und ich hielt sie für meine beste Freundin. Als ich ihr jedoch erzählte, dass wir in die USA auswandern würden, sah ich in ihren Augen keine Traurigkeit, sondern nur Neid. Sie begann sofort, mehr Zeit mit einem anderen Mädchen zu verbringen. Und ich glaube, sie war froh, dass sie nun endlich die Nummer eins sein würde.
    Meine Freundschaft mit Annette fühlte sich ganz anders an. Sie teilte immer alles mit mir, was sie hatte: Süßigkeiten, Zeichnungen, Informationen. Sie erzählte mir, ihr kleiner Bruder sei eine echte Nervensäge und ich solle dankbar sein, dass ich ein Einzelkind war.
    Wenn die Kinder im Sprechchor »RVO« riefen und ich herauszufinden versuchte, welche Buchstaben als Nächstes kamen  – SWP? –, klärte mich Annette darüber auf, dass es seltsamerweise bedeutete, dass man den Hosenladen offen hatte.
    Annette war schockiert, dass mir noch niemand von »den Bienchen und den Blümchen« erzählt hatte. Statt wie gewöhnlich eine Erklärung folgen zu lassen, kicherte sie wie verrückt, was die Sache natürlich besonders interessant machte. Die »Bienchen und Blümchen« hatten ganz offensichtlich noch eine tiefer liegende Bedeutung. Ich versuchte es in der Schulbibliothek, aber die dortige Enzyklopädie informierte nur separat über jede Spezies, nicht jedoch im Zusammenhang. Als ich Mama fragte, stand auch sie vor einem Rätsel, aber sie sagte, dass ich es wohl nicht wissen müsse, wenn der Lehrer es nicht im Unterricht durchgenommen habe.
    Ich erfuhr, dass Annette naturreines Weizenshampoo von Clairol zum Haarewaschen verwendete, und als ich ihr erzählte, dass ich Seife nahm, fand sie das eklig. Auch dass wir zu Hause heißes, abgekochtes Wasser tranken, fand sie seltsam. Sie fragte mich, was ich nach der Schule machte, und als ich antwortete, dass ich normalerweise in der Fabrik arbeitete, ging sie nach Hause und erzählte es ihrem Vater. Am nächsten Tag ließ sie mich wissen, dass das eine dumme Antwort gewesen sei, da Kinder in Amerika nicht in der Fabrik arbeiteten. Annettes Freundschaft war das Beste, was mir in diesem Land bisher passiert war, und ich war ihr dankbar dafür, dass sie mir so viel beibrachte – aber an jenem Tag dämmerte mir, dass ich gewisse Bereiche meines Lebens besser vor ihr geheim hielt.

4
    W ir hatten die Aufgabe bekommen, paarweise an einem Diorama mit dem Titel »Grundlegende Wege zur Konfliktlösung« zu arbeiten. Natürlich wollten Annette und ich zusammenarbeiten, was bedeutete, dass ich einen Nachmittag bei ihr zu Hause verbringen musste. Mama wollte nicht, dass ich zu viel Umgang mit anderen Kindern hatte, aber Schulaufgaben waren ihr heilig, und so bekam ich die Erlaubnis.
    Nach der Schule wartete Annettes Mutter im Auto auf uns. Ihr Blick war direkt und freundlich, und sie hatte graumeliertes, welliges Haar. Neben ihr war ein kleiner Junge mit strähnigen Haaren auf dem Sitz festgeschnallt und las in einem Comicbuch. Annette kletterte auf den Rücksitz, und ich folgte ihr. Ich hatte lange darüber nachgegrübelt, wie ich dieses Treffen mit Anstand hinter mich bringen konnte. Nachdem sich Annette vorgebeugt und ihrer Mutter einen Kuss gegeben hatte, streckte ich die Hand aus, damit sie sie schütteln konnte.
    »Wie geht es Ihnen, Mrs Avery?«, fragte ich.
    Sie drehte sich überrascht nach hinten, ergriff dann aber schnell meine Hand und drückte sie fest. Ihre Hände waren fast so groß wie Männerhände und umschlossen mich mit ihrer Wärme. Wenn sie lächelte, wurden die Falten um ihre Augen tiefer. »Wie geht es dir, Kimberly? Es ist schön, dich kennenzulernen!«
    Nachdem ich zumindest die Begrüßung entsprechend der
in Hongkong gelernten Etikette gemeistert hatte, lehnte ich mich zufrieden im Sitz zurück, während Annette an der Jacke des kleinen Jungen zupfte.
    »Lass mich mal sehen!«, forderte sie ihn auf.
    »Kauf dir doch selber ein Comic«, erwiderte er, ohne aufzublicken.
    »Mom!«, rief sie. »Er teilt nicht mit mir!« Sie versuchte, ihrem kleinen Bruder das Comicbuch aus der Hand zu ziehen, aber er riss es sofort wieder an sich und drehte sich mit seinem drahtigen Körper so zum Fenster, dass Annette nicht mehr an ihn herankam.
    »Hört auf, euch zu streiten, und lasst mich in

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