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Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Titel: Goodbye Chinatown: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Kwok
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musste.
    An diesem Wochenende verdarb mir die Aussicht auf meine Rückkehr in Mr Bogarts Klasse den Appetit. Sogar in der Fabrik sah ich die ganze Zeit sein Gesicht vor mir, den hellen, runden Kopf, der in seiner Kahlheit so bösartig wirkte. Erst viel später merkte ich, dass er sehr wohl Haare hatte, allerdings sehr feine. Weil sie hellblond waren, hatte ich sie nicht als Haare wahrgenommen. Immer wieder malte ich mir aus, wie ich wieder nichts verstehen und deswegen null Punkte bekommen würde. Ich dachte an meine Lehrer in Hongkong, die mich immer mit Lob und Preisen überhäuft hatten. Damals hatten mir die dummen Kinder leidgetan, die Däumchen drehend und stotternd falsche Antworten gaben, und jetzt war ich selbst die Dumme, der die Sorgen wie ein schweres Gewicht auf dem Herzen lasteten.
     
    Das Erste, was Mr Bogart zu mir sagte, nachdem wir der Reihe nach das Klassenzimmer betreten hatten, war: »Wo ist deine schriftliche N-Schuljung ?«
    Zum Glück verstand ich das Wort »schriftlich«. Außerdem hatte ich mir bereits gedacht, dass ich etwas abgeben musste, um mein Fehlen zu erklären. Ich gab ihm einen Zettel, den ich mithilfe meiner alten englischen Schulbücher, so gut ich konnte, gefälscht hatte:
    Sehr geehrte Damen und Herren,
Kimberly war krank. Verzeihen Sie Unannehmlichkeiten.
Ihre folgsame Dienerin,
Mrs Chang

    Mr Bogart warf einen Blick auf den Zettel und heftete ihn dann ohne weiteren Kommentar ab. Ich schlüpfte auf den Platz, den er mir am ersten Tag zugewiesen hatte.
    Wir schrieben einen Test. Da ich nicht am Unterricht teilgenommen hatte, hatte ich keine Ahnung, worum es ging. Dann sah ich, dass auf dem Blatt, das Mr Bogart uns ausgeteilt hatte, Zahlentabellen abgedruckt waren, und über jeder Tabelle ein Text. Drei Basketballmannschaften haben je fünf Spiele gespielt … Ich brauchte einige Minuten, um die Aufgabenstellung zu verstehen, aber dann war klar, dass einfach nur Mittel-, Zentral- und Modalwert gefragt waren. Auch ein paar Dezimalrechnungen waren unter den Aufgaben. Es war, als würde man unerwartet alten Freunden über den Weg laufen. Die Klasse behandelte gerade Stoff, den wir in Hongkong schon vor über einem Jahr durchgenommen hatten.
    Trotzdem machte mich Mr Bogarts Anwesenheit nervös. Ich verstand eine Aufgabe falsch, erkannte meinen Fehler zu spät und hatte dann nichts, um die falsche Antwort wieder wegzuradieren. Würde Mr Bogart sauer sein, wenn ich sie einfach durchstrich? Bestimmt. Außerdem hätte ich dann nicht mehr genug Platz für die neue Antwort gehabt. Ich traute mich nicht, die anderen Kinder zu fragen, weil er dann wieder gedacht hätte, ich würde abschauen.
    Meine einzige Chance bestand also darin, Mr Bogart selbst zu fragen. Ich stand auf und ging zu seinem Pult. Wenigstens wusste ich genau, was ich sagen musste. Genau diese Situation war nämlich in meinem Englischbuch vorgekommen.
    »Verzeihung, Sir.« Ich versuchte, klar und deutlich zu sprechen. »Kann ich ein Gummi leihen?«
    Er starrte mich an. Im Klassenzimmer breitete sich leises Kichern aus.
    Einer der Jungs rief: »Hat dein Liebhaber denn keins?«
    Die ganze Klasse brach in Gelächter aus. Warum nur? Ich hätte alles darum gegeben, lange Haare zu haben und mein Gesicht dahinter verstecken zu können.
    Auch Mr Bogarts Gesicht lief rot an. Er musterte mich prüfend, als wollte er herausfinden, ob ich die Klasse mit Absicht gestört hatte. »Das reicht. Ruhe! Kimberly, geh an deinen Platz zurück!«
    Voller Scham über etwas, das ich nicht verstand, hastete ich zu meinem Stuhl zurück. Noch heute würde ich die Schule verlassen und nie wieder zurückkommen!
    Das Mädchen mit den krausen Haaren beugte sich zu mir herüber.
    »Bei uns heißt es Radiergummi«, flüsterte sie. Sie schob sich eine Strähne ihres fedrigen Haars hinters Ohr und warf einen rosa Radiergummi über die Lücke zwischen unseren Schreibpulten.
     
    Am Ende erwies sich der Tag doch noch als Erfolg. Ich war mir sicher, alle Aufgaben des Mathetests richtig gelöst zu haben, auch wenn ich nicht wusste, ob ich die Gleichungen so aufgeschrieben hatte, wie es die anderen Kinder gelernt hatten. Und in der Tat stellte sich heraus, dass meine Art, die Zahlen von der Zehner- zur Hunderterspalte zu übertragen und sie unten zu notieren statt oben, nicht der amerikanischen Methode entsprach. Mr Bogart zog mir deswegen ein paar Punkte ab, aber immerhin wusste ich jetzt, dass kleinere Korrekturen genügten, um beim nächsten Test gut

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