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Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Titel: Goodbye Chinatown: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Kwok
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wir oft feinere Arbeiten an den Kleidungsstücken erledigen mussten, beispielsweise das Zurechtziehen von Schärpen oder das Zuknöpfen von Jacken. An den Sonntagen versuchte Mama, so oft es ging, für mich Geige zu spielen, aber bald machte die Kälte auch das unmöglich. Ihre Musik würde wohl auf den Frühling warten müssen.
     
    Mr Bogart zum Trotz freute ich mich inzwischen auf die Schule, weil ich dort Annette traf und weil es warm war. Immer wenn ich in die herrliche Wärme des Schulgebäudes trat, kehrte in die Ränder meiner Ohrmuscheln, in meine Handflächen und Fußsohlen das Gefühl zurück, und es pikste wie Nadelstiche.
    Annette erzählte mir, dass sie ein »kieferorthopädischer Härtefall« sei. Als ich sie verständnislos ansah, schrieb sie mir den Ausdruck auf und sperrte dann wie ein Pferd den Mund auf, um mir ihre Zahnspange zu zeigen, durch die ihre Zähne uneben und eingezwängt aussahen. Ich hatte noch nie jemanden mit einer Zahnspange gesehen. Zu Hause in Hongkong wuchsen die Kinder einfach mit krummen Zähnen auf.
    Annette hatte einen blauen Rucksack, an dessen Reißverschlüssen kleine Bären und Eichhörnchen hingen. Ich selbst hatte nie etwas für die Pausen dabei, weil Mama diese Sitte noch nicht kannte, aber Annette zog faszinierende Dinge aus ihrem Rucksack: Cracker mit Erdnussbutter und Marmelade, kleine orangefarbene Käseriegel, Eier oder Thunfisch mit Mayonnaise, mit Frischkäse gefüllte Selleriestangen. Sie schien mein Staunen und meine Freude zu genießen, wenn sie ihre Leckereien mit mir teilte.
    Auch Annettes Farben faszinierten mich. Ihre Haut war überhaupt nicht so, wie ich mir weiße Haut vorgestellt hatte. Sie war nicht mattweiß wie ein Blatt Papier, sondern durchscheinend und gab den Blick auf das darunter fließende Blut frei. Annette glich dem Albinofrosch, den ich als kleines Kind auf einem Markt in Hongkong gesehen hatte. Als sie einmal ihren Pullover anhob, um mir ihren runden Bauch zu zeigen, wich ich erschrocken zurück. Ihre Haut war nicht glatt und hellbraun wie meine, sondern vom Hosenbund gerötet und fleckig, und unter der Oberfläche verliefen feine blaue Adern. Ihre Haut musste sehr dünn sein und bekam bestimmt leicht Risse. Annette hatte blaue Augen, eine Farbe, die ich in Hongkong bisher nur bei blinden Menschen mit grauem Star gesehen hatte. Mir kam es vor, als könnte ich ihr ins Gehirn schauen, und es erstaunte mich, dass sie aus derart hellen Augen genauso gut sehen konnte wie ich aus meinen.
    Sie fand meine Haare schön, obwohl sie so kurz waren, und sagte, sie seien so schwarz, dass sie fast blau aussähen. Nachdem sie mir zu einem »Pagenkopf« riet, hatte ich jahrelang den Ehrgeiz, meine Haare zu einem Pagenkopf wachsen zu lassen, ohne überhaupt zu wissen, was das war. Ich war mir sicher, dass mir Annette keine schlechten Tipps gab. Sie fand es aufregend, dass ich aus einem Land kam, das nicht
Amerika war, und wollte unbedingt chinesische Wörter lernen, vor allem Beleidigungen.
    »Verrückte Melone«, brachte ich ihr auf Chinesisch bei.
    »Sie ist ein kuang gua «, sagte sie und betonte die Wörter verrückt und Melone so falsch, dass ich kaum verstand, was sie sagte. Kein anderer Chinese hätte sie verstanden, und das war gut so. Annette bezog sich auf ein Mädchen in unserer Klasse, das sie nicht mochte, weil es, wie sie behauptete, eine »Besserwisserin« sei, ein Wort, das sie ebenfalls für mich aufschrieb. Ich war verwirrt, weil es doch eigentlich etwas Gutes war, wenn man viel wusste.
    Wie ich selbst hatte auch Annette keine anderen Freunde. Das lag hauptsächlich daran, dass sie eins von nur drei weißen Kindern in der Klasse war, und die anderen beiden Weißen waren Jungen und hielten zusammen. Alle anderen Kinder waren schwarz. Zwischen den weißen und den schwarzen Kindern gab es eindeutig eine Kluft. Es kann sein, dass auch ein paar lateinamerikanische Kinder in unserer Klasse waren, aber damals hielt ich sie einfach für schwarze Kinder, nur mit glatteren Haaren.
    Ich fand heraus, dass meine Schule in der Nähe eines reichen weißen Viertels lag. Wenn Eltern aus dieser reichen Gegend ihre Kinder auf eine staatliche Schule schicken wollten, blieb ihnen keine andere Wahl, als sie an dieser Schule anzumelden. Die restlichen Kinder stammten aus dem unmittelbaren Umkreis der Schule, einem schwarzen Mittel- bis Unterschichtsviertel. Diese Zusammenhänge wurden mir erst später bewusst, aber ich verstand sofort, dass Tante Paula recht

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