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Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Titel: Goodbye Chinatown: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Kwok
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Bäumen und Sträuchern endete vor einem hohen Stacheldrahtzaun, durch den ich in der Ferne einige Schüler sehen konnte, die auf einer ausgedehnten, makellosen Rasenfläche ein Ballspiel spielten. Ihre kurzen Hosen waren so weit, dass sie beinahe quadratisch wirkten. Das Aussehen dieser Kinder und ihr Spiel waren mir vollkommen fremd. Meine jetzige Schule hatte immerhin den Vorteil, dass ich nicht das einzige Kind war, das nicht weiß war, und auch ganz sicher nicht das einzige bedürftige. Ich kannte niemanden, der je so ein Spiel gespielt hatte, und wenn ich hierblieb, würde auch ich mit einer Stange, an deren Ende ein Netz befestigt war, herumrennen und Bälle fangen müssen, um sie dann irgendeiner Gestalt zuzuwerfen, die aus der Ferne winkte. Und dazu würde auch ich in quadratischen kurzen Hosen herumlaufen müssen, die wir uns niemals würden leisten können.
    Ich zögerte und überlegte, ob ich umkehren und lieber die Person bleiben sollte, die ich war. Wenn die Leute von dieser Schule erfuhren, dass Mama sogar meine Unterwäsche schneiderte und dass wir unter Stoffbahnen schliefen, die wir auf dem Müll gefunden hatten, warfen sie mich sicher raus. Ich war eine Hochstaplerin, die vorgab, eins dieser reichen Kinder zu sein. Damals konnte ich nicht ahnen, wie unbegründet meine Sorge war: An der Harrison School machte sich niemand Illusionen über mich.
    Schließlich kam ich vor einem großen Backsteingebäude an, das von derselben ebenmäßigen Rasenfläche aufragte, auf der die Schüler spielten. Die Tür bestand aus geschnitztem Holz, in das verschiedene bunte Glaselemente eingesetzt waren. Sie war so schwer, dass es mir kaum gelang, sie aufzustemmen. Durch die helleren Glasscheiben sah ich schon von draußen eine junge Frau vor einem riesigen geschwungenen
Treppenaufgang an einem Schreibtisch sitzen. Sie trug eine makellose weiße Bluse und hohe Absätze, und ihr hellbraunes Haar war ordentlich zu einem Knoten frisiert.
    Ich fühlte mich winzig in der großen Eingangshalle, in der das Porträt eines bärtigen Mannes mit einer Bibel in der Hand hing. Sein Blick verfolgte mich, als ich zu der jungen Frau am Schreibtisch hinüberging. Ich warf einen Blick auf den zerknitterten Zettel in meiner Hand, obwohl ich bereits auswendig wusste, was draufstand. Ich hatte lange überlegt, wie ich diesen Termin am besten hinter mich bringen sollte.
    »Wissen Sie, wo ich Dr. Weston finde?«, fragte ich mit Piepsstimme.
    Die Frau wirkte etwas überrascht, holte dann aber Luft und sagte: »Hast du denn einen Termin bei ihr?«
    »Ja«, antwortete ich und war erleichtert, dass sie mich verstanden hatte. Jetzt würde sie das Gespräch übernehmen.
    »Dann bist du bestimmt Kimberly Chang.«
    Ich nickte und reichte ihr den Stoß Formulare, den ich für meine Bewerbung hatte ausfüllen müssen.
    Sie warf einen Blick über meine Schulter. »Parkt deine Mutter gerade das Auto?«
    Ich senkte den Blick. »Nein«, flüsterte ich. »Sie ist heute krank.«
    »Dann hat dich bestimmt jemand anders hergebracht?«
    Ich hätte diese Frage erwarten und eine Antwort parat haben müssen. Mir schwirrten Lügen durch den Kopf: Jemand hat mich hergebracht, wartet aber im Auto; jemand hat mich hergebracht und ist gleich wieder gegangen.
    Sie unterbrach meine Gedanken: »Bist du alleine gekommen?«
    Der Motor meines Gehirns kam stotternd zum Stehen. »Ja.«
    Nach kurzem Zögern lächelte sie. »Dann bist du bestimmt müde von der Reise hierher. Setz dich doch, und ich sage Dr. Weston Bescheid, dass du hier bist.«
    Sie führte mich zu einer Reihe von Holzstühlen an der Wand und ging mit meinem Stapel Papieren davon. Sie war nicht unfreundlich zu mir gewesen, aber viel entspannter war ich trotzdem noch nicht. Das Klappern ihrer Absätze hallte durch den Flur.
    Als sie einige Minuten später zurückkam, hatte sie eine gedrungene ältere Dame in einem beigefarbenen Kostüm im Schlepptau, deren Gesicht an eine Bulldogge erinnerte, mit hängenden Wangen unter einer spitzen Nase und eng stehenden hellen Augen.
    Die ältere Dame blieb vor mir stehen. »Hallo, ich bin Dr. Weston«, stellte sie sich vor.
    »Wie geht es Ihnen?«, fragte ich und war froh, diese Floskel schon bei Mrs Avery geübt zu haben. Ich streckte ihr die Hand hin, und sie schüttelte sie, ohne zu zögern. Ihre Hand war blass und fühlte sich – abgesehen von mehreren kantigen, funkelnden Ringen – weich an.
    Nachdem sie mir in ihrem Büro einen Platz angeboten hatte, lehnte sich

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