Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)
blickte auf und sah, dass sie mit der rechten Hand winkte, um meine Aufmerksamkeit zu erregen.
Dann sprach sie weiter: »Mach dir keine Sorgen. Wir haben ein Förderprogramm. Du hast dich zwar außerhalb der regulären Bewährungsfrist beworben, aber ich bin mir sicher, dass wir für dich eine Sommerregelung durchsetzen können. Manchmal gibt es bis zu fünfzig Prozent der Schulgebühren bestattet .«
Ich schluckte den Kloß hinunter, der sich in meinem Hals gebildet hatte. »Danke.«
Ich wusste zwar nicht, was die fünfzig Prozent wirklich bedeuteten, die wir aus eigener Tasche würden zahlen müssen, aber ich wusste, dass wir uns das nie würden leisten können. Jetzt, wo sich Harrison als unerreichbar erwiesen hatte, wünschte ich mir plötzlich sehnlich, hier zur Schule zu gehen. Es war die Gelegenheit, Mama und mich aus der Fabrik herauszuholen, aus unserer Wohnung.
»Also, was denkst du? Sag es mir doch bitte, Kimberly. Ich muss es wissen, damit ich dir helfen kann.«
Ich spürte, wie die Hitze in mir aufstieg. »Es tut mir leid«, war alles, was ich herausbekam.
»Wir können vielleicht sogar auf fünfundsiebzig Prozent hochgehen, auch wenn ich diesbezüglich nichts versprechen kann.«
»Ja, vielen Dank. Es tut mir leid, Sie sind beschäftigt.« Ich stand so hastig auf, dass ich beinahe den Stuhl umwarf. Ich hatte nur ihre Zeit vergeudet und uns alle in eine peinliche Situation gebracht.
Sie hob die Hand, um mich zurückzuhalten. »Nein, warte doch mal. Du darfst noch keine Entscheidung in deinem Kopf treffen, bevor ich Gelegenheit hatte, mit deiner Mutter zu reden, ja? Ich bin mir sicher, dass wir eine Lösung …«
»Wir kein Telefon.« Inzwischen brannten sogar meine Ohren vor Scham.
Dr. Weston ließ die Hand sinken. »Na gut, dann können wir vielleicht einen Termin ausmachen.«
»Meine Mutter bei Arbeit. Und sie kein Englisch.«
Es folgte ein langes Schweigen, das mir sehr unangenehm war. Dann sagte sie: »Verstehe.«
Sie legte ihre Unterlagen beiseite und brachte mich zur Tür. »Vielen Dank, dass du dir Zeit genommen hast, unsere Schule anzusehen.«
Während wir im Chemieunterricht an einem Experiment arbeiteten, erzählte ich Annette von meiner mündlichen Prüfung in Harrison. Sie selbst hatte ihre Annahmebestätigung bereits vor Wochen erhalten. Schon ihr Vater war auf die Harrison Preparatory School gegangen.
»Hast du gut abgeschnitten?«, fragte sie besorgt. »Die Prüfung ist wirklich schwer. Und sie schauen sich noch ganz viele andere Sachen an. Viele Kinder werden abgewiesen.«
Ihre Stimme war immer lauter geworden, und ich sah, dass Mr Bogart vom Nebentisch zu uns herüberblickte. Also zuckte ich nur mit den Schultern und wandte den Blick ab.
»Also?«, fragte sie. »Meinst du, du hast bestanden?«
Ich wollte ihr die Wahrheit sagen – dass ich angenommen worden war, aber dass wir uns die Schulgebühren nicht leisten konnten –, aber ich schämte mich, es laut auszusprechen. Also zwang ich mich, den Kopf zu schütteln.
Annettes Gesicht wurde lang. »Oh nein«, sagte sie. »Die müssen dich aber nehmen! Ich will, dass du mit mir kommst!«
»Ist okay«, sagte ich, obwohl die Enttäuschung hinter meinen Augenlidern immer heißer brannte und ich Angst hatte, sie könnte sich in Tränen ergießen. Es war viel zu spät, sich noch für eine andere Privatschule zu bewerben. »Ich gehe auf staatliche Schule wie geplant.«
»Ist mir egal, wie du bei dieser Prüfung abgeschnitten hast. Du bist so schlau! Du musst mit jemandem reden, der dir noch eine zweite Chance gibt.«
»Nein, das ich möchte nicht.«
Sie dachte einen Moment darüber nach. »Gut, dann bleibe ich auch auf einer staatlichen Schule.«
Ich blinzelte. Die großzügige, loyale Annette. Natürlich würden ihre Eltern das nie erlauben. Aber hätte ich dasselbe für sie getan, hätte ich dasselbe für sie tun können? Ich legte eine Hand auf ihre Schulter. »Du bist gute Freundin.«
Das Ende des Schuljahrs rückte näher.
In unserem Klassenzimmer kreisten wie verrückt die Poesiealben. Anfangs hatten nur wenige Kinder eins und baten ihre Freunde hineinzuschreiben, aber bald ließen fast alle Schüler ein Poesiealbum herumgehen. Ich flehte Mama an, mir auch eins zu kaufen, was sie auch tat, für neunundfünfzig Röcke im Ramschladen. Es hatte einen Einband aus rotem Kunstleder. Bei den anderen hatte ich gesehen, dass ich die Ecken nach jedem Eintrag abwechselnd hoch- und runterklappen musste, so dass in
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