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Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Titel: Goodbye Chinatown: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Kwok
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meinem Buch ein Muster aus gefalteten Dreiecken entstand.
    Annette schrieb in mein Buch: »Freundinnen für immer!« Die anderen Kinder schrieben Sätze wie »Ich wünschte, wir hätten uns besser kennengelernt« oder »Schade, dass wir uns
nicht so gut gekannt haben«. Ich schrieb »Viel Glück für die Zukunft« in alle Alben, außer in Annettes und Tyrones. In Annettes Buch schrieb ich: »Du bist meine beste Freundin.« Als Tyrone mir schüchtern sein Album reichte, sah ich, dass jemand auf die vorherige Seite geschrieben hatte: »Du bist der König des Verstands.« Ich dachte einen Augenblick nach und schrieb dann auf Chinesisch: »Du bist ein ganz besonderer Mensch, mögen die Götter dich beschützen.« Dann unterschrieb ich auf Englisch.
    »Wow«, sagte er. »Was heißt das?«
    »Viel Glück«, antwortete ich.
    Er starrte auf die Seite. »Das sind aber viele Wörter für ›Viel Glück‹.«
    »Auf Chinesisch man braucht viel Zeit, um etwas zu sagen.«
    In mein Buch schrieb er: »Ich wünschte, ich hätte dich besser kennengelernt.«
     
    Für die Sechstklässler gab es eine Abschlussfeier, und unsere Klasse übte wochenlang das würdevolle Auf- und Abmarschieren auf die Bühne in der Aula.
    Mama war zutiefst enttäuscht gewesen, dass wir uns Harrison nicht leisten konnten. Anfangs sagte sie, dass wir schon irgendwie eine Möglichkeit finden würden, das Geld aufzubringen, zum Beispiel, indem sie noch einen Nebenjob annahm, obwohl sie doch schon arbeitete, so viel sie konnte. Als ich ihr jedoch erklärte, wie der Campus aussah und wie hoch die Schulgebühren tatsächlich waren, gab sie die Hoffnung schweren Herzens auf. Sie umarmte mich und sagte: »Ich bin trotzdem unheimlich stolz auf dich. Du bist noch nicht mal ein Jahr hier und hast dir schon diese Chance erarbeitet. Du brauchst einfach noch ein bisschen Zeit.«
    Ich machte mir Sorgen, wie sie auf mein Zeugnis reagieren
würde. Diesmal musste ich es ihr zeigen. Sie hatte das ganze Jahr noch keine Noten von mir gesehen, und auch wenn ich inzwischen in allen Fächern bestanden hatte, war ich doch immer noch Welten von den perfekten Noten entfernt, die sie von zu Hause gewöhnt war. Ich schlief schlecht in den Wochen vor der Abschlussfeier.
    Mama kaufte mir ein hübsches braungeblümtes Kleid im Sonderangebot. An Hals und Ärmeln war es mit Spitze besetzt, und der Rocksaum blähte sich, wenn ich mich drehte. Es kostete ein Vermögen, tausendfünfhundert Röcke, aber Mama kaufte es eine Größe zu groß, damit ich es länger tragen konnte. Es war ein wenig zu weit, sah aber trotzdem gut aus, und ich bekam ein Paar neue braune chinesische Ballerinas, die dazu passten.
    Am Tag der Abschlussfeier zog ich mich feierlich an.
    »Mama?«, fragte ich. »Sehe ich hübsch aus?« Ich wusste, dass ein anständiges Mädchen nicht solche Fragen stellte und nach Komplimenten heischte, aber ich wünschte mir so sehr, hübsch auszusehen.
    Mama legte den Kopf schief. Ich glaube, dass sie nie Bemerkungen über mein Aussehen machte, hing damit zusammen, dass sie selbst in Hongkong als Schönheit gegolten hatte. Sie hatte mir immer beigebracht, dass andere Qualitäten wichtiger waren. »Du siehst gut aus.«
    »Aber bin ich auch hübsch?« Mama umarmte mich. »Du bist mein wunderbares, wunderhübsches Mädchen.«
     
    Alle Kinder sahen verändert aus in ihrer schicken Aufmachung. Die Mädchen trugen Kleider, und manche Jungs hatten sich sogar Krawatten umgebunden. Selbst Luke trug ein neues weißes Hemd, auch wenn seine graue Hose dieselbe war wie immer. Jetzt, wo ich Harrison kannte und wusste,
wie anders es sein konnte, wurde mir klar, wie viel wohler ich mich hier fühlte, wo auch die Familien anderer Schüler arm waren. Als wir die Aula betraten, suchte ich Mamas Gesicht in der Menge und sah sie im hinteren Teil des Publikums in der Mitte sitzen. Tante Paula hatte eine »äußerst unübliche, einmalige Ausnahme« gemacht und Mama erlaubt, den Vormittag in meiner Schule zu verbringen. Heute Abend würden wir zusammen die ganze Arbeit nachholen müssen. Mit plötzlicher Heftigkeit wünschte ich mir, Mama wieder so stolz machen zu können wie früher. In Hongkong war ich immer auf die Bühne gebeten worden, um Preise entgegenzunehmen. Dort war ich jedes Jahr zur besten Schülerin erklärt worden, und Mama hatte ihre helle Freude an den Preisverleihungen gehabt.
    Während die sechste Klasse auf der Bühne ein Lied sang, hielt ich nach Mama Ausschau und versuchte, besonders laut zu

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