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Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Titel: Goodbye Chinatown: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Kwok
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mir so wenig vertraut, dass es eine Weile dauerte, bis ich es als Türklingel identifiziert hatte.
    »Wer kann das sein?«, fragte Mama.
    Ich rannte zum vorderen Fenster, während Mama hinter mir sagte: »Kimberly, bleib stehen! Sonst sehen sie dich!«
    Aber ich spähte bereits hinunter und sah Annettes rundes, vom Glorienschein ihrer Haare umrahmtes Gesicht, das zu uns heraufschaute. Mir wurden die Knie weich. Ich duckte mich und versteckte mich unter dem Fenster, in der Hoffnung, dass sie mich nicht gesehen hatte. Vorher hatte ich noch einen Blick auf das Auto der Averys auf der Straße erhascht. Es saß ein kleiner Mann darin, vermutlich Mr Avery.
    Die Türklingel läutete noch einmal und dann ein drittes Mal. Mama und ich starrten uns an und wagten nicht einmal zu flüstern, so als stünden die Fabrikinspekteure vor der Tür. Endlich verstummte das Klingeln, und ich hörte das Auto davonfahren.
    »Ich glaube, sie sind weg«, sagte ich.
    »Schau noch nicht aus dem Fenster«, bat Mama.
    Wir warteten noch einmal zehn Minuten, bevor ich mich zu vergewissern wagte, dass Annette und ihr Vater tatsächlich verschwunden waren.
    Ein paar Tage später erhielt ich wieder einen Brief von Annette:
    Jetzt bist du bestimmt enttäuscht! Ich war nämlich bei dir zu Hause, einfach nur, um hallo zu sagen! Aber du warst nicht da. Ich dachte, ich hätte ein Gesicht im Fenster gesehen,
aber Fehlanzeige. Was ist eigentlich deine Telefonnummer? Wie kommt es, dass ich die noch nicht habe? Wir sehen uns bald … in unserer neuen Schule!!!!
    Zur Vorbereitung auf die Harrison kaufte mir Mama neue Kleidung. Laut Kleidervorschrift brauchte ich einen dunkelblauen Blazer, aber es war gar nicht einfach, einen zu finden, den wir uns leisten konnten. Schließlich erstanden wir bei einem Discounter einen marineblauen Blazer für 4,99 Dollar. Er war aus kratzigem Polyester, und die Ärmel waren so lang, dass sie meine Hände bedeckten. Er hatte Schulterpolster, die weit über meine Schultern hinausragten, aber zumindest ähnelte er entfernt den Blazern, die die anderen Kinder auf den Fotos getragen hatten. Außerdem kauften wir bei Woolworth’s eine weiße Bluse und einen dunkelblauen Rock.
    Ich zog die ganze Uniform an und schaute in den Spiegel, aus dem mir ein kleines chinesisches Mädchen mit kurzen Haaren entgegenblickte, dessen Oberkörper und Arme in einem kastenförmigen Blazer versanken. Eine billige weiße Bluse blitzte unter dem Blazer hervor, und darunter stand ein steifer Rock über mageren Waden ab. Der Rock hatte große Glitzersteine am Bund, weil wir keinen schlichteren Rock gefunden hatten. Dazu trug ich meine chinesischen Ballerinas, die einzigen Schuhe, die zu einem Rock passten. Das Outfit war insgesamt unbequem, und ich hatte das Gefühl, in den Umrissen einer Person zu versinken, die ich nicht wiedererkannte.
    Aber jetzt war ich bereit für die Harrison School.
     
    Als Harrison-Schülerin durfte ich von nun an mit einem Privatbus zur Schule fahren, der in der Nähe meiner alten Grundschule hielt. Dort stand ich also mit meinen schlecht sitzenden Kleidern, und als der Bus endlich hielt, erkannte
ich ihn zunächst gar nicht als Schulbus. Er war schnittig und grau, mit einer weißen Tafel hinter der Windschutzscheibe, auf der die Zahl 8 stand. Drinnen waren die Sitze nicht in Querreihen, sondern entlang der Seitenwände angeordnet. Der Bus war halb voll, es waren etwa sieben Kinder verschiedenen Alters an Bord, alle weiß, alle in Blazern. Ich ließ mich auf den nächsten Sitz gleiten, neben einen älteren Jungen, der so groß war, dass seine ausgestreckten Beine bis zur Mitte des Busses reichten.
    In einer Gegend, die aussah wie Annettes Viertel, legten wir einen weiteren Stopp ein, und es stiegen noch drei weiße Kinder ein, deren Eltern uns hinterherwinkten. Annette wurde heute von ihrer Mutter zur Schule gebracht, aber ab morgen würde auch sie in meinem Bus sitzen. Obwohl ich nun schon fast ein Jahr in den Vereinigten Staaten war, hatte ich noch nie so viele weiße Kinder auf einem Haufen gesehen. Ich wollte sie nicht anstarren, aber sie hatten so interessante Farben. Der Junge neben mir hatte Haare von der blassen, orange-gelblichen Farbe eines gekochten Tintenfischs. Seine Haut war so hell wie die von Annette, nur fleckiger. Ein Mädchen, das an Annettes Haltestelle eingestiegen war, saß mir schräg gegenüber. Sie hatte dunkelbraune Haare und Augen, die der einer Chinesin ähnelten, aber heller waren. Ihre Haare waren

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