Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Titel: Goodbye Chinatown: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Kwok
Vom Netzwerk:
Drahtgittern der Abzugshauben und baumelten im Luftzug, bis sie irgendwann abfielen und an meinem Gesicht landeten oder schlimmer noch auf dem Kleidungsstück, an dem ich gerade arbeitete. Die Luft, die aus den Lüftern geblasen wurde, war ein drückend heißer Wind, der die Hitze vom Dampfkessel und den glühenden Bügelmaschinen zu unseren nassen Körpern und von da aus wieder zurückleitete. Trotzdem waren wir froh darüber, denn etwas anderes hatten wir nicht. Es war viel zu heiß, um in den Pausen zu spielen, und so stellten Matt und ich uns mit ausgestreckten Armen und flatternden Haaren vor die Lüfter und taten so, als könnten wir fliegen.
    Der Fabrikstaub wurde noch unerträglicher als sonst, weil wir schweißgebadet waren und die Stofffasern an uns kleben blieben. Auf meinen nackten Schultern und meinem bloßen Hals bildeten sich Streifen, weil ich mir den Staub immer wieder mit den Fingern abwischte.
    Trotz der Unkosten kaufte mir Mama ein paar Briefmarken,
damit ich Annette antworten konnte. Sie fand, es sei eine gute Schreibübung für mich. Ich schrieb Folgendes:
    Tut mir leid, dass es bei dir langweilig ist! In New York City ist es erholsam. Ich genieße es, mich auszuruhen und Bücher zu lesen. Lieder und Spiele sind wirklich doof. Ich hoffe, du kommst bald zurück. Vielleicht machen meine Mutter und ich bald auch Ausflug.
    Aus Florida schrieb Annette:
    Hast du ein Glück, das du in NY entspannen kannst! Das Haus von meiner Oma ist ziemlich schön. Gestern haben wir gegrillt, und ich durfte meinen Hotdog im Pool essen! Wo fahrt ihr hin? Ich hoffe, du hast dort viel Spaß! Vergiss deine beste Freundin nicht, während du weg bist!!!
    Sie schickte mir auch eine Postkarte, auf der ein Schloss abgebildet war und auf der die Worte »Magic Kingdom« standen.
    Ich antwortete:
    Ich habe auch mal einen Hotdog gegessen und hat mir sehr köstlich geschmeckt. Nur gelbe Soße mag ich nicht. Mama und ich machen vielleicht doch nicht Ausflug, weil in New York City zu schön ist. Wenn ich später Ausflug mache, kaufe ich dir ein Geschenk. Was möchtest du? Danke für eine schöne Postkarte. Sie gefällt mir sehr. Ist deine Oma von Familie von deine Mutter oder dein Vater? Ich hoffe, sie ist gesund.
    Jeden Abend, wenn ich aus der Fabrik nach Hause kam, las ich wieder und wieder Annettes Briefe. Ich sehnte mich danach, selbst etwas erzählen zu können, über einen Ausflug
nach New Jersey zum Beispiel oder nach Atlantic City, wohin die anderen Näherinnen manchmal fuhren. Wäre ich reich gewesen, hätte ich Annette und Mama viele Geschenke von Orten in ganz Amerika mitgebracht.
    In unserer Wohnung waren die Kakerlaken und Mäuse mit aller Gewalt zurückgekehrt, und wir konnten nichts unverschlossen herumstehen lassen, nicht einmal die Zahnpasta. Andernfalls erwartete uns bei unserer Rückkehr eine daran leckende Kakerlake mit langen, fuchtelnden Fühlern. Wir nahmen die Mülltüten von den Küchenfenstern, und zum ersten Mal schien die Sonne vom Hinterhof in unsere Wohnung. Ich hielt nach der Frau mit dem Baby aus der Nachbarwohnung Ausschau, aber das Zimmer war leer. Sogar das Bett war verschwunden. Sobald es warm genug war, holte Mama fast jeden Sonntagabend ihre Geige hervor. Dann räumte ich nach dem Abendessen auf und sie spielte, auch wenn es manchmal nur ein paar Minuten waren, weil wir normalerweise noch eine Menge Arbeit aus der Fabrik mitgebracht hatten.
    Einmal sagte ich zu ihr: »Mama, du musst nicht jede Woche für mich spielen. Du hast so viele andere Sachen zu tun.«
    »Ich spiele genauso für mich selbst«, antwortete sie. »Ohne meine Geige würde ich vergessen, wer ich bin.«
    Irgendwann wurde die Hitze so schlimm, dass Mama uns einen kleinen Ventilator kaufte. Nach der Arbeit verschnauften wir vor diesem Ventilator, auf den Matratzen sitzend, den Rücken an die Wand gelehnt. Allmählich entstanden an der rissigen Wand zwei gelbliche, menschlich geformte Flecken: ein kleiner von mir und ein größerer von Mama. Diese Flecken sind wahrscheinlich heute noch zu sehen. Ich habe von ihnen geträumt, von unseren Hautzellen, unseren Talg- und Schweißtropfen, die in die poröse Mauer eingedrungen sind, kleine Teile von uns, die nie wieder entfliehen können.
     
    Eines Sonntagnachmittags gegen Ende des Sommers stand plötzlich Annette vor der Tür. Mama und ich knöpften gerade Jacken zu, die wir aus der Fabrik mitgebracht hatten, als mich ein lautes Geräusch plötzlich auffahren ließ. Das Geräusch war

Weitere Kostenlose Bücher