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Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Titel: Goodbye Chinatown: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Kwok
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Nachrichten verfolgen mussten. Außerdem würden wir Aktienkäufe an der Börse simulieren und während der kommenden Wochen die Schwankungen unserer Aktien verfolgen, um zu sehen, ob wir Geld verdienten oder verloren. Ich biss mir auf die Lippe und überlegte, wie ich an eine Zeitung kommen sollte, um die aktuellen Aktienkurse zu erfahren.
    Während des Unterrichts meldete ich mich noch nicht zu Wort. Ich verstand zwar inzwischen das meiste, was die Lehrer sagten, aber es war ermüdend, ständig so angestrengt zuzuhören. Als ich Annette zum Mittagessen in der Kantine traf, war ich völlig erschöpft.
    Annette umarmte mich und ließ ihre Zahnspange aufblitzen. »Mann, bin ich froh, dich zu sehen!«, rief sie. »Hier sind alle so komisch.«
    Sie war nicht viel brauner geworden während des Sommers, aber ihre Sommersprossen schienen sich vermehrt zu haben, was sie dunkler aussehen ließ, wenn man sie von weitem betrachtete und die Augen zusammenkniff. Sie war größer und ein bisschen dünner geworden, aber die Knöpfe ihrer Bluse spannten immer noch auf Bauchhöhe. Auch ihre Haare waren gewachsen und bildeten jetzt keinen Puschel mehr um ihren Kopf, sondern fächerten sich im Nacken zu einer Pyramide auf. Zu meiner großen Verwunderung nahm sie sich ein Tablett und stellte sich mit mir beim warmen Essen an.
    »Bekommst du das Mittagessen auch umsonst?«, fragte ich sie.
    Sie kicherte. »Du Dummchen. Hier essen alle in der Kantine, das ist in den Schulgebühren enthalten.«
    Es gab ein reichhaltiges Salatbüffet mit Dingen, die ich noch nie vorher gegessen hatte, wie Oliven und Schweizer Käse. Das Hauptgericht war an diesem Tag süßsaures Schweinefleisch auf gedämpftem Reis, aber es schmeckte genauso fremdartig wie alles andere. Der Reis war hart und geschmacklos, und das Fleisch war nur von außen rot angemalt und nicht in Char-Siu- Soße mariniert und gegrillt. Aber ich war glücklich, wieder neben Annette sitzen zu dürfen.
    Nach dem Mittagessen hatten wir Biologie, ein Fach, das mir großen Spaß machte, weil wir eine Einführung in wissenschaftliche Schreibweise und Zellstruktur bekamen – Themen, die wir in Hongkong gar nicht durchgenommen hatten. Am Ende der Stunde schrieb der Lehrer eine Sonderaufgabe an die Tafel:
    Das E.-coli-Genom besteht aus 4,8 Millionen Basenpaaren, während das menschliche Genom aus 6 Milliarden Basenpaaren besteht. Wie viel Mal größer ist das menschliche Genom als das E.-coli-Genom?
    »Überlegt euch zu Hause, wie ihr am besten an diese Aufgabe herangeht«, sagte der Lehrer. »Hat schon jemand eine Idee?«
    Niemand rührte sich. Langsam hob ich die Hand, und nachdem der Lehrer mir zugenickt hatte, sagte ich: »Das ist 1,25 x 103, Sir.« Ich biss mir fast auf die Zunge, weil mir wieder ein »Sir« herausgerutscht war.
    Ohne einen Blick auf die Anwesenheitsliste zu werfen, lächelte er und sagte: »Ah, du musst Kimberly Chang sein.«
    Im Laufe des Tages überflog ich die Gesichter, die mir begegneten, und begriff, dass außer mir tatsächlich nur eine Handvoll Schüler einer ethnischen Minderheit angehörte. In meiner Klasse waren alle weiß bis auf mich, aber auf dem Flur hatte ich ein indisches Mädchen und einen älteren schwarzen Jungen gesehen.
    Das letzte Unterrichtsfach des Tages war Sport, und ich war froh, dass ich daran gedacht hatte, meine Turnschuhe mitzubringen. In meiner alten Schule hatten wir die Sportstunde dazu genutzt herumzualbern und uns hinter anderen Kindern zu verstecken, wenn der Ball in unsere Richtung flog. An der Harrison hingegen wurde der Sportunterricht sehr ernst genommen, und wir erfuhren, dass wir gleich mehrmals in der Woche Sport haben würden. Mir war sofort klar, dass mich das vor ein Problem stellte. Mama hatte mir beigebracht, nie etwas Undamenhaftes oder Gefährliches zu tun, eine Lektion, die noch aus ihrer eigenen strengen Erziehung stammte. Als »undamenhaft« galt jede Bewegung, bei der sich die Knie voneinander entfernten oder der Rock nach oben flog. Ob man wirklich einen Rock trug oder nicht, war dabei irrelevant, es ging ums Prinzip. Und »gefährlich« deckte beinahe alle anderen Bewegungen ab. Ich hatte schon oft Ärger mit Mama bekommen, weil ich das Thema Rock nicht ernst nahm und die Angewohnheit hatte, zu schnell zu rennen. Als wir nun in der Turnhalle standen, hatte ich bereits ein schlechtes Gewissen, bevor wir überhaupt angefangen hatten.
    Erst nachdem wir der Reihe nach unsere Sportausrüstung entgegengenommen hatten

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