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Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Titel: Goodbye Chinatown: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Kwok
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erschrak so heftig, dass ich einen Satz nach hinten machte, aber zu dem Zeitpunkt war die ganze Turnhalle ohnehin bereits in lautes Gelächter ausgebrochen.
    »Greg ist in Kimberly verknallt, Greg ist in Kimberly verknallt!« , riefen die Jungs.
    »So ein Quatsch«, brachte er schließlich heraus, berührte dabei aber seine Unterlippe mit dem Finger – vor lauter Schock, vermute ich –, was die Sticheleien nur noch schlimmer machte.
    »Spürst du den Kuss noch?«, fragte Curt mit boshaftem Grinsen.
    Ich weiß nicht, wie viele Schüler mir tatsächlich glaubten und wie viele nur die Gelegenheit ergriffen, es Greg heimzuzahlen, der fast jeden schon einmal vor den Kopf gestoßen hatte. Jedenfalls wendete sich nach diesem Vorfall das Blatt zu meinen Gunsten, und Greg fing an, mich zu meiden. Kurz darauf hörten auch die Hänseleien auf.
     
    Sosehr ich es auch zu vermeiden versuchte, eines Tages lief ich beim Betreten der Fabrik doch Tante Paula über den Weg. Ich trug noch meine Harrison-Uniform, und sie musterte
mich prüfend. Ich grüßte und schlüpfte dann eilig in die Toilette, um mich umzuziehen.
    Später kam sie zu unserer Arbeitsstation.
    »Große Schwester«, sagte Mama besorgt. Es war noch nicht Zeit für die regelmäßige Qualitätskontrolle. »Gibt es Probleme?«
    »Natürlich nicht«, antwortete Tante Paula. »Ich dachte nur gerade, dass wir euch schon lange nicht mehr zu uns zum Reis eingeladen haben.« Reis bedeutete Abendessen. »Ich könnte euch doch am Sonntag Onkel Bob schicken, damit er euch abholt?«
    Mama versuchte, ihre Überraschung über diese großzügige Geste zu verbergen. Seit wir vor über einem Jahr in unsere Wohnung gezogen waren, hatte uns Tante Paula nur ein einziges Mal zu sich eingeladen. »Du erweist uns zu viel Gesicht«, womit sie meinte, Tante Paulas Einladung sei zu großzügig.
    »Nicht doch. Und Kimberly soll etwas Hübsches anziehen, vielleicht ihre Schuluniform.«
    Jetzt war auch ich überrascht. Nachdem Tante Paula gegangen war, drehte ich mich zu Mama um. »Ich dachte, sie ist sauer, weil ich auf die Harrison gehe.«
    Mama dachte einen Augenblick nach. »Tante Paula würde nie gegen Tatsachen ankämpfen, die sie sowieso nicht ändern kann. Dafür ist sie zu pragmatisch.«
    »Sie ist also nicht mehr sauer?«
    »Das habe ich nicht gesagt. Du musst mit kleinem Herzen auftreten, wenn wir bei ihr zu Hause sind.« Mama riet mir zu Bescheidenheit.
    »Wenn Tante Paula so eifersüchtig ist, warum hat sie uns dann eingeladen?«
    Mama seufzte. »Stell nicht solche direkten Fragen, ah- Kim.
Das gehört sich nicht für ein wohlerzogenes chinesisches Mädchen.«
    »Ich will es nur verstehen, damit ich weiß, wie ich mich bei ihr zu Hause verhalten muss.«
    Mama zögerte, entschloss sich dann aber doch zu einer Antwort: »Wenn Tante Paula etwas nicht ändern kann, dann überlegt sie, wie es ihr und ihrer Familie am besten nützen könnte.«
    Endlich ging mir ein Licht auf. »Nelson. Sie will, dass ich ein gutes Beispiel für ihn abgebe.«
    Mama nickte. »Sei nett zu ihm.«
     
    Bei Tante Paula war es himmlisch warm. Ich ertappte mich dabei, wie ich neben der Heizung im Wohnzimmer herumlungerte.
    Nelson entdeckte mich dort und schlenderte herüber. Auch er trug seine Schuluniform, einen dunkelgrünen Blazer und hellbraune Hosen. Jetzt verstand ich: Tante Paula wollte damit angeben, dass auch Nelson auf eine Privatschule ging. Sie hatte mich angewiesen, meine Schuluniform anzuziehen, damit Nelson seine ebenfalls tragen konnte.
    Nelson senkte die Stimme, damit die Erwachsenen ihn nicht hörten: »Wenn du unser Haus siehst, glühen deine Augen rot vor Neid, stimmt’s?«
    Was Beleidigungen anging, konnte mich Nelson nicht ausstechen, zumindest nicht auf Chinesisch. Ich tätschelte seinen Arm. »Wie schade, dass dein Gehirn einer Laterne aus Rindsleder gleicht. Egal, wie oft du versuchst, sie anzuzünden, hell wird es nie.«
    Tante Paulas Stimme aus der Küche unterbrach uns. »Es ist Zeit für den Reis!«
    Wir drängten uns um den Esstisch: Onkel Bob, Godfrey,
Nelson, Tante Paula, Mama und ich. Der Tisch war beladen mit Köstlichkeiten wie gebratenen Shrimps mit getrockneten Litschis, gedämpften, mit Fleisch gefüllten Paprikaschoten und einem ganzen Seebarsch, pochiert mit Ingwer und Frühlingszwiebeln.
    »Du servierst uns einen goldenen Drachen«, sagte Mama. Meine Tante hatte wirklich keine Kosten und Mühen gescheut  – vorher hatte sie sich noch nie so ins Zeug gelegt für uns.

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