Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)
bestrafen konnte. Das Ganze war Mamas Schuld.
»Wie haben sie dich denn gesehen?«, fragte sie, ohne meinem Blick zu begegnen.
Mein Schmerz über all die Hänseleien platzte auf wie ein Reistopf in der Hitze. »Ich hab dir doch erzählt, dass wir uns
alle zusammen umziehen und dass sich alle gegenseitig anschauen! Wir sind hier nicht in China, Mama!«
Sie schwieg. Dann sagte sie: »Am Sonntag gehen wir einkaufen.«
Bevor wir zu unserem Einkaufsbummel aufbrachen, musste ich jedoch den Rest der Woche überstehen. Vor der nächsten Sportstunde linste Sheryl in die Kabine, in der ich mich umzog. Ich hörte sie und die anderen Mädchen draußen kichern, und ihr Gelächter war schonungsloser geworden, so als gelte die Tatsache, dass ich immer noch dieselbe Unterwäsche trug, als Bestätigung für ihre Sticheleien.
Am Freitag trug ich aus lauter Verzweiflung statt Unterwäsche meinen einzigen Badeanzug unter der Schuluniform. Eine Nachbarin aus Hongkong hatte ihn mir zum Abschied geschenkt, und er war mir inzwischen viel zu klein. Aber obwohl mir die Träger in die Schultern schnitten und der knallgelbe Stoff durch meine weiße Bluse schimmerte, wirkte die Enge des Anzugs beruhigend auf mich. Zumindest war er neu und in einem Laden gekauft und genauso straff und adrett wie die Unterwäsche der anderen.
Beim Sportunterricht ließ es sich Greg nicht nehmen, jeden zu fragen: »Hä, haben wir heute Schwimmen?«
Ich hatte alles nur noch schlimmer gemacht.
Wir kauften einen Packen Unterhosen für mich bei Woolworth’s, aber es gab dort keine BHs, die klein genug waren, und deshalb mussten wir auch noch zu Macy’s gegenüber. Tante Paula erzählte immer, dass sie dort einkaufte, daher war uns klar, dass wir uns dort eigentlich nichts leisten konnten. Aber wir wussten nicht, wo wir sonst hätten hingehen sollen.
Überall funkelten Lichter, und die Verkäuferinnen besprühten die vorbeigehenden Kundinnen mit Parfüm. Mama und ich wurden hingegen vollkommen ignoriert, wir waren zu ärmlich gekleidet, zu chinesisch. Die Ladentheken und Regale quollen über mit Dingen, die wir nicht anzuschauen wagten: Lederhandtaschen, falsche Diamanten, Lippenstifte. Ein paar jüngere Kundinnen hatten auf Hockern Platz genommen und ließen sich von Frauen in Laborkitteln schminken. Das ganze Kaufhaus roch wie eine reife, exotische Frucht.
In der Unterwäscheabteilung waren die farbenfrohen Nachthemden, Korsetts, Slips und BHs wie Süßigkeiten ausgestellt. Mama hob ein Preisschild an, warf einen Blick darauf und schüttelte den Kopf.
Es war offensichtlich, dass mir keiner der riesigen BHs passte, die hier an den Bügeln hingen. Sie waren für Frauen mit richtigen Brüsten gedacht, nicht für kleine Beulen, wie ich sie hatte.
»Bitte jemanden um Hilfe«, forderte mich Mama auf.
Ich wünschte mir verzweifelt, sie hätte selbst um Hilfe bitten und das Kommando übernehmen können, wie es Annettes Mutter fraglos getan hätte. Ich nahm einen BH, der üppig und drall am Bügel hing, obwohl ihn gar niemand trug, und ging damit zu einer Verkäuferin. Mama hielt sich im Hintergrund.
Ich hatte das Gefühl, am ganzen Körper rot anzulaufen, bevor ich auch nur das erste Wort herausbekam: »Sie haben das hier? Für mich?«
Zu meinem Entsetzen brach die schwarze Frau in Gelächter aus. Als sie meinen Gesichtsausdruck sah, versuchte sie, ihr Kichern zu unterdrücken. »Entschuldige, Schätzchen, aber du bist so winzig, und der hier ist so groß.« Sie hatte eine donnernde Stimme.
»Komm mit«, sagte sie. »Was du brauchst, ist ein Sport-BH. Welche Größe hast du?«
»Ich weiß nicht. Siebzig?« Meine wilde Schätzung basierte auf Mamas BHs, die noch aus Hongkong stammten, wo das europäische Größensystem galt.
Die Frau fing wieder an zu lachen. »Du bist einfach zu ulkig. Ich verspreche dir, eines Tages wirst du eine richtige Frau. Nur nichts überstürzen, Herzchen. Lass mich mal maßnehmen.«
Sie holte ein Maßband hervor, und ich zog meinen Pullover hoch und schämte mich für mein selbst genähtes Unterhemd. Wenigstens hatte es keine Löcher. Falls es der Verkäuferin auffiel, sagte sie jedenfalls nichts. Ich starrte auf den Boden, während sie das Maßband um meine Brust wickelte.
»Dreißig Dreifach-A«, verkündete sie laut. Das ganze Kaufhaus hätte sie verstehen können. Sie nahm einen Karton aus der Auslage und reichte ihn mir. »Willst du ihn anprobieren?«
»Nein danke.«
Ich griff nach dem Karton, und dann zahlten
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