Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)
dunkel war. Wenn eine Windböe hereinfuhr, blähten sich die Tüten auf und stemmten sich gegen das Industrie-Klebeband, das sie an Ort und Stelle hielt. Den Fengshui-Prinzipien nach gelangte durch die Badezimmertür ein Schwall unsauberer Energie in die Küche. Wir schoben den Herd so weit wie möglich von ihr weg.
Am zweiten Tag unserer Putzaktion brauchten wir mehr Putzmittel und Kakerlaken-Spray, und Mama beschloss, den Ausflug zum Laden ein wenig zu zelebrieren, als Belohnung für die Arbeit, die wir bereits geleistet hatten. An der Art, wie sie mir liebevoll durchs Haar wuschelte, merkte ich, dass sie mir etwas Gutes tun wollte. Wir würden uns ein Eis gönnen, verkündete sie, eine seltene Köstlichkeit.
Der Laden war winzig und überfüllt, und wir standen mit unseren Putzutensilien Schlange, bis wir schließlich vorne an der Kasse angekommen waren, wo hinter einer schmutzigen Glasscheibe verschiedene Kartons ausgestellt waren.
»Was steht da?«, fragte Mama und zeigte mit dem Kinn auf einen Karton. Ich sah, dass darauf Erdbeeren abgebildet waren, und entzifferte die Worte »aus echten Früchten hergestellt« und ein weiteres Wort, das ich nicht kannte und das mit »Jo« anfing.
Der Mann hinter der Ladentheke sagte auf Englisch: »Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit. Kauf Tier jetzt was oder nicht?« Sein Tonfall war aggressiv genug, dass Mama auch ohne Übersetzung verstand, was er meinte.
»Mir tut leid, Sir«, antwortete Mama auf Englisch. »Sehr leid.« Damit stieß sie auch schon an die Grenzen ihrer Sprachkenntnisse und sah mich erwartungsvoll an.
»Das da«, sagte ich und zeigte auf den Erdbeerkarton. »Zweimal.«
»Wurde auch Zeit«, knurrte er. Als er den Preis eintippte, war er dreimal so hoch wie auf dem Karton angegeben. Mama schielte nach dem Preisschild, wandte den Blick aber schnell wieder ab. Weil ich nicht wusste, ob ich etwas sagen sollte oder wie man sich überhaupt auf Englisch über den Preis beschwert, schwieg ich ebenfalls. Mama bezahlte, ohne den Mann oder mich anzusehen, und dann gingen wir. Das Eis schmeckte schrecklich, wässrig und sauer, und erst als wir unten angekommen waren, fanden wir die Früchte in einem gelierten Klumpen.
Auf dem Weg zurück nach Hause sah ich keine anderen Chinesen auf der Straße, nur Schwarze und sehr wenige Weiße. Es waren zahlreiche Menschen unterwegs, ein paar Mütter und Arbeiter, aber hauptsächlich junge Männer, die mit
gereckter Brust in Grüppchen herumstolzierten. Ich hörte, wie einer von ihnen eine junge Frau, die die Straße entlangkam, »Schnecke« nannte. So langsam kam mir das Mädchen gar nicht vor. Mama hielt den Blick abgewandt und zog mich näher an sich heran. Überall lag Abfall verstreut: Glasscherben vor den Türen, alte Zeitungen, die vom Wind den Gehweg entlanggeblasen wurden. Die englischen Buchstaben waren unlesbar und sahen aus wie Wirbel aus purer Wut und Raserei. Der Abfall bedeckte fast alles, sogar die Autos, die auf der Straße geparkt waren. Einen Block weiter reihten sich gewaltige Industriegebäude aneinander.
Wir sahen einen älteren schwarzen Mann, der auf einem Liegestuhl vor dem Gebrauchtmöbelladen neben unserem Gebäude saß. Das Gesicht hatte er der Sonne zugewandt, und seine Augen waren geschlossen. Sein Haar bildete einen silbernen Wattebausch um seinen Kopf. Ich starrte ihn an und dachte, dass kein Chinese, den ich von zu Hause kannte, freiwillig versuchen würde, in der Sonne noch brauner zu werden, erst recht nicht, wenn er ohnehin schon so dunkel war wie dieser Mann.
Plötzlich sprang er auf und katapultierte sich vor uns in eine Kampfsportpose mit angewinkeltem Bein und ausgestreckten Armen. »Hiii-jah!«, brüllte er.
Mama und ich schrien erschrocken auf.
Er brach in Gelächter aus und fing dann an, auf Englisch auf uns einzureden: »Hab eure Tricks voll drauf, was? Schuljung, wollte euch Ladys kein Schreck nein jagen. Ich steh voll auf Kung-Fu. Mein Name ist Al.«
Mama, die kein Wort verstanden hatte, packte mich bei der Jacke und sagte auf Chinesisch zu mir: »Dieser Mensch ist verrückt. Sprich nicht mit ihm, wir versuchen, uns einfach davonzuschleichen.«
»He, das ist Chinesisch, oder? Könnt ihr mir was beibringen?« , fragte er.
Ich hatte mich ausreichend von dem Schrecken erholt, um zu nicken.
»Da gibt es diesen dicken Kerl, der immer in meinen Laden kommt. Was kann ich zu ihm sagen – der ist so ein richtiger Wal?«
»Wal«, sagte ich auf Kantonesisch. Mama sah mich an, als
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