Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)
glaubte ich ein Muster zu erkennen.
Nach einer Weile klingelte das Telefon, und der Barmann sagte: »Ah- Wu, das ist für dich.«
Matts Vater stand auf, und der Barmann warf ihm den Hörer zu, der mit einem langen schwarzen Kabel an der Wand befestigt war. Beim Sprechen ging Matts Vater ruhelos auf und ab, und ich konnte zum ersten Mal richtig sein Gesicht sehen. Es war offensichtlich, woher Matt sein gutes Aussehen hatte. Sein Vater war sehr attraktiv, und die buschigen Augenbrauen verliehen seinen Zügen, die sonst beinahe zu fein gewesen wären für einen Mann, einen diabolischen Charme. Er hatte etwas Draufgängerisches an sich, eine unbekümmerte Art, die Arme zu schwingen, so als könnte er alles in diesem Zimmer zerschlagen, ohne dass es ihn gekümmert hätte. Sein Anzug war einmal teuer gewesen, das konnte ich sehen, und er hatte sich die Mühe gemacht, seine Schuhe auf Hochglanz zu polieren. Ich fragte mich, was Matt von so einem Mann wohl gelernt hatte. Es konnte nichts Gutes gewesen sein.
»Louisa«, sagte er. »Ich komme heute später. Keine Sorge, Süße, es dauert nicht mehr lange. Nein, keine Angst, ich spiele nicht.« Er zwinkerte seinen Freunden zu.
Auf meinen fragenden Blick sagte Matt beinahe trotzig: »Seine Freundin. Er lebt mit ihr zusammen.«
Das Geld, das Matt seinem Vater gegeben hatte, konnte also nicht von seiner Mutter stammen. Es musste Matts Gehalt sein, wahrscheinlich das von seinem Botenjob, für den er die Schule schwänzte. Ich verstand ihn. Ich hätte auch alles getan, um meine Mutter zu beschützen, hätte ihr jede Sünde verziehen. Vielleicht waren mir meine Gefühle an den Augen abzulesen, denn Matt schaute schnell weg, so als könnte er mein Mitgefühl nicht ertragen.
Als Matts Vater zum Tisch zurückging, wo die anderen Männer auf ihn warteten, schien er mich zum ersten Mal
bewusst wahrzunehmen. Er kam noch einmal zu mir zurück und wedelte mit seinen Spielkarten vor meinem Gesicht herum. »Welche Karte würdest du spielen, hä? Frauenglück.«
Das laute Geplauder am Tisch erstarb. »Frauenglück.«
»Papa, lass sie da raus«, sagte Matt und stand auf.
»Ist schon gut«, beschwichtigte ich. Ich wusste, dass Glück nichts damit zu tun hatte. Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung erschienen mir wesentlich erfolgversprechender. Ohne zu zögern, zeigte ich auf die Pikdame und die Karosieben.
»Meinst du?«, fragte Matts Vater nachdenklich. »Seltsam, seltsam. Aber vielleicht … wenn …«
Er zog die beiden Karten langsam aus seinem Blatt und warf sie auf den Tisch. Die anderen fingen plötzlich an zu grölen und warfen mir böse Blicke zu. Als der Aufruhr sich gelegt hatte, scheffelte Matts Vater das Geld auf dem Tisch zusammen.
Er grinste bis über beide Ohren und entblößte dabei eine Goldkrone. Nachdem er einen Schluck von seinem Drink genommen hatte, kam er wieder zu uns herüber. Er streckte die Hand aus und tätschelte mir unbeholfen den Kopf, als wäre ich ein Hund.
»Das hier«, sagte er, »ist ein tolles Mädchen. Ein Mädchen, das den Sohn des alten Wu verdient hat.«
Obwohl diese anerkennende Äußerung von einem betrunkenen Spieler stammte, kam es mir vor wie eine Art Segnung. Auch Matt schien stolz darauf zu sein, trat aber gleichzeitig von einem Fuß auf den anderen, als überlegte er, ob wir weglaufen sollten, bevor die anderen Männer ihren Anteil wollten.
Und tatsächlich setzte kurz darauf der Chor ein. »Komm, setz dich zu uns!«, riefen sie. »Wir wollen auch gewinnen.«
»Nein, sie bleibt bei mir.« Matt war erst fünfzehn, aber er stellte sich vor mich und bot der gesamten Zockerbande die Stirn. Ich stand dicht genug hinter ihm, um zu spüren, dass er zitterte. Zum ersten Mal, seit wir diesen Raum betreten hatten, bekam ich es mit der Angst zu tun. Aber dann fing jemand an zu lachen.
»Geht klar, aber bring sie mal wieder mit. Wir können immer ein bisschen Glück gebrauchen.«
Matt nahm mich nie wieder mit dorthin, aber ich glaube, das lag vor allem daran, dass ich jetzt gesehen hatte, was er mir hatte zeigen wollen. Er hatte mir sein dunkelstes Geheimnis anvertraut, und ich hatte es akzeptiert. Es schien so etwas wie ein Wendepunkt für uns zu sein, das Versprechen von gegenseitigem Vertrauen und Offenheit, vielleicht sogar von Liebe.
Das war, bevor das Mädchen auftauchte.
10
I n der zehnten Klasse war ich eine der besten Schülerinnen meines Jahrgangs, obwohl ich in Englisch immer noch hinterherhinkte. Im Gegensatz zu den
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