Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Goodbye Leningrad

Goodbye Leningrad

Titel: Goodbye Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Gorokhova
Vom Netzwerk:
ich ihm die Geschichte vom Lastwagenfahrer erzähle, leuchten seine Augen voller Respekt und mit einem Hauch Bewunderung über meinen Einfallsreichtum und Mut. Nina und ich hatten in Badeanzügen am Straßenrand gestanden und versucht, hilflos auszusehen, während der leere Benzinkanister im Gestrüpp versteckt gewesen war.
    Normalerweise bin ich nicht sehr mutig. Zu Hause in Leningrad zucke ich jedes Mal zusammen, wenn ich auch nur die geringste Aufmerksamkeit auf mich ziehe, doch hier, in der neuen Welt von Nowyi Swet, bin ich furchtlos, als wäre ich eine andere, als hätte die Sonne mir eine neue Identität verliehen. Hier kann ich ausgelassen und sorglos sein. Mit einer Zigarette hocke ich im Schneidersitz auf dem staubigen Seitenstreifen |313| und ernte strafende Blicke von vorübergehenden Müttern mit halbwüchsigen Töchtern im Schlepptau. Ich krieche auf einer Kolchose unter Reben und pflücke Weintrauben. Vor ein paar Tagen sind Nina und ich auf den größten Felsen oberhalb unserer Bucht geklettert und haben vor der versammelten Kiewer Gruppe, vor dem ganzen Schwarzen Meer, das zu diesem Zeitpunkt im wahrsten Sinne des Wortes schwarz war, Hamlets Monolog in englischer Sprache rezitiert. Zugegeben, wir hatten einige Becher Wein intus, doch ich könnte mir nie und nimmer vorstellen, meinen Freunden zu Hause irgendetwas auf Russisch oder Englisch vorzutragen, selbst wenn die Nacht pechschwarz wäre, selbst wenn sie mich darum bitten würden.
    »Was hältst du davon, auf unser Treffen anzustoßen?«, schlägt mein Onkel vor. Für mein neues, furchtloses Alter Ego klingt es verlockend, auf einer Bank zu trinken. Er hat sich bereits darüber beklagt, dass auf dem Gelände des Erholungsheims kein Alkohol gestattet sei. Wenn ich in ein Sanatorium gewollt hätte, sagt er, hätte ich genauso gut bei meiner Frau zu Hause bleiben können.
    Unter einem seltsamen, knorrigen Baum, der im Norden nicht wächst, entdecken wir eine Bank. Onkel Wowa entkorkt den Sekt, und wir nippen abwechselnd an der Flasche. Die warmen Bläschen steigen mir in die Nase und ich bekomme einen Schluckauf; zu meiner Enttäuschung kann ich zwischen dieser für den Export bestimmten Rarität und dem
Sowjetskoje -Sekt
, den wir immer zu Silvester kaufen, keinen Unterschied feststellen. Doch mein Onkel scheint ihn zu genießen, und der andere Mundwinkel, auf der nicht verbrannten Seite, verzieht sich ebenfalls.
    Wir sitzen im Schatten des seltsamen Baumes und unterhalten uns über die Krim. Ich erzähle ihm von der Milizrazzia und vom Wein, der aus Automaten hervorsprudelt, und vom Meerwasser, |314| das in der Nacht fluoresziert. Er erzählt mir, dass im Erholungsheim ab zehn Uhr Ausgangssperre herrsche. Dann gehen wir zu seiner Unterkunft, einem Betongebäude mit anstaltseinheitlichen Jalousien. Davor sind, nur hundert Meter vom Meer entfernt, kleine Bäume in Reihen gepflanzt. »Bald gibt es Abendessen«, sagt er. »Lass uns auf mein Zimmer gehen, ich versuche, etwas zu essen für dich aus der Cafeteria zu schmuggeln.«
    Das Zimmer ist klein und zweckmäßig, doch das, was ich durch eine offene Tür sehe, kommt mir beinahe surreal vor: Im Glorienschein weißer Fliesen erstrahlt ein Bad. Seit vier Wochen wasche ich mich im Meer und bearbeite mein Haar mit einem Stück Waschseife, das ich im Salzwasser zum Schäumen zu bringen versuche. Das Bad meines Onkels könnte mit seinem luxuriösen Porzellan und Chrom direkt den westlichen Zeitschriften, die unsere Zollbeamten routinemäßig an der Grenze beschlagnahmen, entschwebt sein.
    »Ziemlich armselig, nicht?«, bemerkt Onkel Wowa, als er mich wie angewurzelt auf der Schwelle zum Badezimmer stehen sieht. »An einem Ort für Kriegsveteranen würde man etwas Moderneres erwarten.« Ich weiß wirklich nicht, was er meint. Die Fliesen funkeln und blenden mich; das Wasser gurgelt aus dem Hahn, frisches Wasser in Hülle und Fülle, das die Seife in allen Regenbogenfarben schäumen und schillern lässt. Ich lasse noch mehr Wasser fließen   – aus einem Hahn der Badewanne, aus einem Duschkopf   – und es rauscht in silbrigen Kaskaden, herrliches Wasser ohne Farbe oder Geschmack.
    Onkel Wowa lächelt und schließt die Tür. Das Wasser prasselt auf meine Haut, die ganz dunkel und fest wie Leder geworden ist, so dunkel, dass meine Fingernägel inzwischen wie fahle Lichter leuchten, dass zwischen der gebräunten Haut meines Spanns und meiner weißen Fußsohle eine Grenzlinie verläuft. |315| Ich seife mein

Weitere Kostenlose Bücher