Goodbye Leningrad
Haar ein, bis es zu einem Berg aus Schaum wird; ich liege in der Badewanne und rubbele die vier Wochen Salz von meiner Haut. Als ich schließlich den Kopf aus der Tür stecke, sagt mein Onkel, wenn er das Abendessen nicht verpassen wolle, müsse er jetzt in die Cafeteria hinuntergehen. »Ich werde dir was Gutes stibitzen«, verspricht er.
Ich fühle mich derart sauber, dass ich kein Gewicht mehr spüre. Ich schwebe durch den Raum, um ein weiteres surreales Gebilde herum, ein Bett mit Laken. Nur kurz probieren, wie es sich anfühlt, denke ich, das Gefühl von weißer Baumwolle auf der Haut, doch da höre ich bereits Onkel Wowas Stimme, die verkündet, dass ich ein paar großartige
kotlety
in Pilzsauce verpassen würde, die er in einem Handtuch versteckt habe. »Du hast zwei Stunden geschlafen«, lacht er. »Hast du denn am Strand keine Zeit zum Schlafen?«
Unter dem Handtuch kommt ein mit Zeitungspapier zugedeckter Teller zum Vorschein, aber mein Kopf möchte sich einfach nicht vom Kissen lösen und meine Arme scheinen an den Laken festzukleben.
Als er die Zeitung abnimmt, erkenne ich zwei makellose
kotlety
in einer braunen Sauce, die eindeutig nicht aus einer Konservendose stammt und die mir so köstlich und unwirklich vorkommt wie eine Fata Morgana.
Er sieht mir mit seinem schiefen Lächeln beim Kauen zu, ohne darüber zu klagen, dass ich nicht in einem echten Bett schlafe oder ordentlich esse, ohne meiner Freundin Nina vorzuwerfen, dass sie mich auf die Krim geschleppt hat, wo ich wie eine obdachlose
bomsch
schutzlos den Elementen ausgesetzt bin, ohne sich nach Boris zu erkundigen oder danach, ob es einen Boris gibt. Und selbst wenn er sich erkundigen würde, könnte er bestimmt ein Geheimnis für sich behalten. Schließlich war er derjenige, der an meiner Mutter in der Zeit zwischen |316| ihren beiden Ehemännern eine Abtreibung vornahm, als Schwangerschaftsabbrüche noch illegal waren. Das weiß ich, weil ich in ihrer Schreibtischschublade ein blaues Notizbuch gefunden habe, dessen Seiten mit ihrer kantigen Handschrift beschrieben sind und in dem sie ihr Leben vor ihrem Umzug nach Leningrad schildert. Sie muss es für die Nachwelt verfasst haben, also für mich. Deshalb habe ich es gelesen. Und selbst damals, mit fünfzehn, fand ich es paradox, dass von den drei Geschwistern in ihrer Familie, die den Krieg überlebt haben, ausgerechnet meine Mutter, die so sehr – viel mehr als Onkel Wowa oder gar Tanta Musa – auf Ordnung und korrektes Verhalten bedacht ist, als Einzige drei Ehen hinter sich hat, drei überstürzte Vereinigungen, von denen keine vollkommen oder auch nur gut gewesen zu sein scheint.
Ich weiß, dass es das letzte Mal sein wird, dass ich auf diese Weise mit Onkel Wowa zusammentreffe, nur wir beide, ohne Verwandte, die uns eifrig ermahnen, nur ja keinen Sekt aus der Flasche zu trinken oder Essen aus der Cafeteria zu klauen oder sonst irgendeine Ordnungswidrigkeit zu begehen.
Wir umarmen uns innig und verharren so eine Minute lang in den Armen des anderen, wobei wir beide diesen Moment auskosten, von dem wir wissen, dass er unwiederbringlich ist.
Ich bin Onkel Wowa dankbar dafür, dass er einen schiefen Mund hat und nicht neugierig ist, dass er keine Fragen stellt und mich nicht bedauert. Ich bin ihm dankbar für die geklauten
kotlety
in Pilzsauce.
Als ich in der Bucht eintreffe, ist es bereits dunkel, und die Matratzen sind schon für die Nacht auf dem Strand verteilt. Alles wirkt still und friedlich, wie ein Pioniersommerlager, in dem die Tage vorhersehbar und unbeschwert sind. Vielleicht hat meine Mutter ja doch recht, vielleicht birgt das Leben unter freiem Himmel Gefahren. Das Immergleiche, zum Beispiel – |317| die Summe aus perfektem Wetter und perfekten Liedern, die Jura unentwegt auf seiner Gitarre klampft. Unzensierter Sex, zum Beispiel – und niemand, der ihn verdammt oder mit einem schrägen Blick herabwürdigt, ihm die Spannung nimmt, ihn mit dem Staub des Alltäglichen besudelt.
Ich ziehe die Schuhe aus und wate ins dunkle Wasser. Wenn ich mit den Zehen wackle, bilden sich ganze Trauben von schillernden Blasen um meine Füße und lassen das Wasser von innen leuchten. So sei es nur im August, sagt Boris, wegen des Planktons, das nah am Ufer treibe. Um mich herum verschmelzen die Umrisse der Felsen langsam mit der Dunkelheit, und der obere Rand des Mondes schwebt wie der Kanten eines Brotlaibes über ihnen.
Es ist Zeit zum Schlafengehen in Nowyi Swet, der neuen
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