Google-Mitarbeiter Nr. 59
traf die Entscheidung, wenn wir uns nicht einigen konnten? Wer musste bei allem sein Okay geben – Larry oder Sergey? Die Ausrichtung des Unternehmens auf Effizienz bezog das Entscheidungsmanagement offenbar nicht mit ein.
Verwirrung wegen des Überschreitens von Grenzen war schlimm genug, aber es gab schlimmere Szenarien, als eine unsichtbare Linie zu übertreten. Manchmal warteten die Gründer mit »einer guten Idee« auf.
»Ich habe eine gute Idee«, informierte Sergey Susan Wojcicki ein paar Wochen, nachdem ich dort angefangen hatte. »Warum nehmen wir nicht das Marketingbudget und nutzen es, um Flüchtlinge aus Tschetschenien gegen Cholera impfen zu lassen? Das wird unseren Bekanntheitsgrad steigern und mehr Menschen werden Google nutzen.«
Unsere Firma war damals knapp ein Jahr alt. Wir hatten keine echten Erträge und eine Million Dollar unserer Investoren für einen Landkrieg in Asien auszugeben wäre eine revolutionäre Vorgehensweise, um seine Marktanteile zu vergrößern.
Meinte Sergey das ernst? Und ob! Wie sollte ich auch nur versuchen, gegen einen derart bizarren Vorschlag zu argumentieren? In meinen früheren Jobs hätte ich meinen Kollegen vielleicht widersprochen, wenn es darum ging, sich zwischen Radio- oder Fernsehwerbung zu entscheiden. Ich hätte über Schriftgröße und -stärke diskutiert. Aber Sergey sprach nicht einmal eine Sprache, die ich verstand.
Wenn ich zwölf Jahre später zurückschaue, kann ich Sergeys Sichtweise verstehen. Leben zu retten war eine sinnvollere Nutzung unseres Budgets als Anzeigen zu schalten – die kaum etwas brachten und die Leute nur verärgerten. Warum also nicht für einen humanitären Zweck eine große Summe spenden und Aufmerksamkeit erregen, indem man Gutes tut. Es beinhaltete alle klassischen Elemente einer Sergey-Lösung: eine unkonventionelle Herangehensweise an ein Problem, Einspannen der Technologie, um das menschliche Befinden zu verbessern, eine internationale Reichweite und die Erwartung, dass die Presse als Werkzeug benutzt werden kann, um unsere geschäftlichen Ziele zu fördern.
Sergey fragte weder Shari noch mich, was wir von der Idee hielten. Ihm war klar, dass wir darüber gelacht hätten. Stattdessen wandte er sich an Susan, eine der wenigen Marketingfachleute, denen er vertraute. Sie gehörte zum engen Kreis aus dem Büro an der University Avenue und Google hatte in ihrem Haus Räume angemietet. Sergey hatte ihre Familie kennengelernt (und würde später ihre Schwester heiraten) und Susan verstand ihn gut genug, um seine ausgefallenen Ideen nicht von vornherein abzulehnen. Stattdessen ging sie hin und sammelte Daten, was in diesem Fall bedeutete, dass sie ihre Mutter fragte, die Lehrerin in Palo Alto war. Als Lehrkraft genoss sie Ansehen bei Sergey, und als sie gestand, dass unser Plan, eine Rebellenarmee in Russland zu unterstützen, sie verwirren würde, nahm ihm das einigen Wind aus den Segeln.
Er hatte jedoch eine Alternative in petto. »Wir wäre es dann, wenn wir kostenlose Kondome mit Google-Aufdruck an Highschools verteilen?«
Sergey bat Shari und mich, vergleichbare wohltätige Werbeaktionen zu recherchieren. Dem kamen wir pflichtbewusst nach, uns war jedoch nicht entgangen, dass wir erst nachträglich zurate gezogen wurden. Susan gehörte zwar zum Marketingbereich, aber Shari und ich sollten ihn eigentlich leiten. Wir fühlten uns an den Rand gedrängt. Mit organisatorischer Unklarheit konnte ich umgehen, aber ich brauchte ausreichend Orientierung, um zumindest zu erkennen, welcher Weg nach oben und welcher nach unten führte.
Wir sollten unsere Arbeit nicht so tun, wie wir es aus unserem bisherigen Berufsleben kannten. Wir sollten nicht andere Firmen nachahmen. Wir sollten nicht damit rechnen, über unsere Strategie informiert zu werden, falls es denn überhaupt eine gab. Wir waren unabhängige Akteure, bildeten ein geschlossenes Team von Nonkonformisten. Ich dachte, ich hätte verstanden: Ich sollte Probleme identifizieren und sie lösen. Also tat ich das.
5 Dem Prozess Rechnung tragen
Januar 2000. Neujahr. Ein neues Jahrtausend. Ein neues Ich.
Mein erster Monat war in einen recht wackeligen Start gemündet, aber nun war ich entschlossen, im Urschlamm von Googles junger Organisation festen Boden zu finden. Mein erster Schritt würde darin bestehen, einen offensichtlichen Stolperstein zwischen uns und dem Erfolg zu entfernen: der Mangel an Methode. Wir brauchten für alles einen klaren Weg der Entscheidungsfindung,
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