Google-Mitarbeiter Nr. 59
»Gehälter!« »Server!« »Steuern!« »Stromkosten!« »Charlies Lebensmittelrechnungen!« Jeder schlug etwas anderes vor.
»Nein«, sagte Sergey und schüttelte feierlich den Kopf. »Alternativkosten.«
Produkte, die wir nicht einführten, und Verträge, die wir nicht abschlossen, bedrohten unsere wirtschaftliche Stabilität weitaus mehr als jeder einzelne Faktor unseres Budgets. Wir fielen sogar dann zurück, wenn wir nach vorn sprangen. Der Erfolg rann uns durch die Finger. Das hier war Sergeys Schlachtruf, unsere Anstrengungen zu verdoppeln. Ich hörte ihn, aber manchmal fiel es mir schwer, darauf zu antworten.
Nachdem ich mittlerweile sechs Monate im Job war, hatte ich eine Menge am Hals und fegte durch meine täglichen Aufgaben, wie ein Schiedsrichter den Staub des Spielfelds abklopft. Aber um große, gestaltlose Projekte, wie das Umorganisieren unserer Seiten mit Unternehmensinformation oder das Entwickeln einer Werbebanner-Strategie für unsere Vertragspartner anzugehen, fand ich schlichtweg keine Zeit.
Wenn ich nicht gerade auf die Anfragen meiner Kollegen reagierte, an Meetings teilnahm oder meine Maus über die E-Mails schnellen ließ, die meinen Posteingang überschwemmten, dann wurde ich von dem rasselnden Geräusch der M&Ms verführt, jedes Mal, wenn jemand eine Münze in die Dose auf der gegenüberliegenden Seite des Flurs warf. Küchendüfte durchdrangen meine Sinne, bis ich nicht mehr anders konnte, die Menükarte für das Mittagessen studierte und meine Mahlzeit plante. Es fand sich immer jemand, der Lust auf eine Runde Soul Calibur im Blauen Zimmer hatte. Und wenn der Druck zu hoch wurde, lockte die Sauna. Ich konnte über die Aufgaben, die sich auf meinem Tisch stapelten, nachdenken, während frisch gebrühter italienischer Kaffee aus meinen Poren tropfte.
Bei der Merc hatte ich nie ein Stechen verspürt, wenn ich mit meinem Diensttelefon Privatgespräche führte. Ich meine, sehen Sie sich doch nur diesen Mangel an Nebenleistungen bei denen an. Ein Abo unserer Tageszeitung zum Discountpreis? Na, besten Dank. Bei Google war ich im Arbeiterparadies und meinte, es nicht zu verdienen. Ich arbeitete wesentlich mehr Stunden als bei der Merc und doch schien es nie der Großzügigkeit gerecht zu werden, mit der ich beschenkt wurde. Als um uns herum die Dotcoms in die Insolvenz rutschten, wurde ich ständig daran erinnert, wie glücklich ich mich schätzen konnte, nicht nur einen Job zu haben, sondern einen so tollen Job. Das Schuldgefühl des Überlebenden quälte mich. Ja, ich produzierte am laufenden Band jede Menge Zeug, aber ich brachte uns nicht schnell genug voran zu einer globalen Marketingstrategie. Cindy wusste das. Sie stellte klar, dass sie mehr Dringlichkeit wünsche, mehr große Ideen, mehr Führungsstärke meinerseits. Sie hatte recht: Ich könnte, sollte mehr tun. Meine Tage wurden immer länger. Während es draußen schon dunkel war, hing ich immer noch (und war nie der Einzige) im Googleplex herum und zwang mich, produktiv zu sein. War ich der Einzige, der diese Unsicherheit verspürte?
»Ich weiß nicht, ob ich mich hier ein Jahr halte«, sagte Suchqualitäts-Guru Ben Gomes, nachdem er seinen ersten schwierigen Auftrag in Angriff genommen hatte. »Ich hoffe, dass ich es schaffe. Ich möchte meine Sperrfrist für Aktienoptionen erreichen.« Gomez überlebte. »Ein paar Monate später begann ich mit der Arbeit am Ranking«, erinnert er sich. »Ich war bis 4 Uhr früh in der Firma und morgens um 10 Uhr schon wieder zurück. Mein komplettes Leben spielte sich hier ab. Es war toll. Ich habe es wirklich genossen.« 44
Die Arbeitszeiten und die Intensität förderten eine Kameradschaft während der Nachtschicht, vor allem wenn Larry und Sergey in ihren Büros Hof hielten. Im Mondschein waren sie so viel angenehmer, ohne ihre schützende Hülle in Form eines vollgestopften Terminkalenders. Meetings fraßen das Tageslicht, aber nach 7 Uhr abends eröffneten sich breite Perspektiven ununterbrochener Verfügbarkeit. Ich konnte mir meine fünfte Tasse Kaffee aufbrühen und auf die Monstrositäten herunterstarren, die in den verlassenen Winkeln meiner To-do-Liste lauerten. Aber zuerst …
»Daddy? Wann kommst du nach Hause, Daddy?«, würde eines meiner Kinder schmachtend rufen, sobald ich zu Hause anrief. »Ich vermisse dich und möchte dich sehen.« Kristen war sich nicht zu schade, mit schmutzigen Mitteln in der Schlacht um meine Aufmerksamkeit zu kämpfen. »Ich liebe dich,
Weitere Kostenlose Bücher