Gooliath - Vergeltung: Thriller (German Edition)
gehen. Du bist dann immer so gut drauf.« Bei diesen Worten blitzten ihre Augen fröhlich auf. »Aber ihre besten Wünsche begleiten dich. Wie geht es dir?«
Natü rlich kannte sie die Antwort auf diese Frage bereits. Kurioserweise war sie für das menschliche Miteinander dennoch unverzichtbar. »Na ja.«, antwortete David mit einem schiefen Lächeln. Annes angedeutetes Kopfnicken bekundete Verständnis. Ihr Gegenüber fühlte sich schlagartig besser. Ein merkwürdiger Mechanismus im menschlichen Miteinander war dort am Werk.
Mit ihrem Zeigefinger zeichnete sie die Narbe an Davids Kopf nach: » Die ist mir vorher gar nicht richtig aufgefallen. Woher hast du sie?« David berichtete knapp. Der Parabelflug, der Sturz, das Nähen seiner Wunde und die Erkenntnis, dass seine Mutter diesen Tag nicht überlebt hatte. Voller Mitgefühl sah Anne auf ihn herab. Sie machte sich Vorwürfe, dass sie ausgerechnet jetzt eine so tiefe seelische Wunde wieder aufgerissen hatte. Sorgenvoll ging sie vor ihm in die Hocke und hielt seine Hand.
Mit einem einzigen Augenzwinkern bedeutete ihr David, dass sie keine Schuld traf. Dennoch wü rde ihr eigener Vorwurf noch einige Zeit verweilen. Manchmal waren Menschen nachtragend. Und manchmal strenger zu sich selbst, als zu irgendwem sonst.
Ohne dass es David ahnte, existierte auch in Annes Vergangenheit ein Trauma. Sie sah die Zeit gekommen, ihm davon zu berichten: » Mit Verlusten kenne ich mich leider auch aus. Als ich noch sehr klein war, verstarb mein größerer Bruder Christian.« Ihr Blick verriet ihre Abwesenheit. In ihrer Fantasie konnte sie Christian wieder ganz deutlich erkennen. Sie lächelte, als sie ihn sah: »Er war ein Mathefreak. Das lag wohl an seinem Asperger-Syndrom.«
Fragend sah David sie an. » Einstein hatte das auch.«, begann sie zu erklären. »Das heißt natürlich nicht, dass Christian wie Einstein war, aber für mich war er immer der schlaueste Mensch auf der ganzen Welt. Egal welche Zahl, und wenn es die Zahl des Antichristen 666 war, sie interessierten ihn alle. Er hat mir immer Zahlenrätsel gestellt und sich diebisch gefreut, wenn ich sie lösen konnte.« Sie zuckte traurig mit der Schulter. David streckte seine Hand aus, die von einer leichten Betäubung schon ganz schwach geworden war. Er berührte ihren Helm in Höhe ihrer Wange.
Abschließ end fügte sie noch ein weiteres Detail hinzu. Sanft und liebevoll strich sie über ihr Dekolleté. Unter ihrer Schutzhülle aus Plastik schien eine Art Amulett verborgen: »Das hier hat er mir zum Abschied geschenkt. Sieht in etwa so aus, wie ein in Bernstein gefangenes Insekt. Es ist ein ‚Papilio Ulysses‘, ein seit circa 20 Jahren ausgestorbener Schmetterling. Das Besondere ist, das dieser hier noch lebt.« Ein nachdenkliches Flüstern folgte: »Der letzte seiner Art. In dieser Cryo-Kapsel schläft er einen ewigen Schlaf.«
Anne stand wieder auf: » Aber mal was anderes. Ich habe gehört, dass du auch ein Geschenk für mich vorbereitet hattest. Warum habe ich es bisher noch nicht erhalten, hm?«
Davids Krä fte schwanden erneut. Nach Annes gigantischer Show gestern Nacht, erschien ihm sein eigenes kleines Musikstück geradezu winzig. Bevor er aber auch nur ein einziges Wort über dessen Verbleib entgegnen konnte, öffnete sich die Besuchertür ohne Vorwarnung erneut. Herein kam eine ebenfalls steril vermummte Gestalt, doch wesentlich kleiner.
In ihrer Miniaturausgabe eines Schutzanzuges sah Melissa einfach zu drollig aus. Wie ein kleiner Sumoringer stapfte sie zielstrebig auf die beiden and eren zu. Mit optimistischer Strenge baute sie sich vor Davids Bett auf, wobei dieser feststellen musste, dass seine letzte Ermahnung tatsächlich Wirkung gezeigt hatte. Seine Schwester begrüßte zuerst Anne: »Hi, Anne. Hallo Davy. Und? Geht es dir noch gut, ja?«
Anne sah schmunzelnd auf Melissa herab. David wollte schon zu einer Entschuldigung ansetzten, doch so weit kam er nicht. Annes Augen verrieten Verstä ndnis. Sie würde da sein, wenn er wieder erwachte, bestimmt. Zum Abschied erhob sie kurz ihre Hand, wobei ihr Anzug ein raschelndes und quietschendes Geräusch von sich gab. Schließlich ging sie zur Tür. Mit einem letzten Blick zurück verließ sie endgültig den Raum.
Melissa und David waren nun ganz fü r sich. Seine kleine Schwester hatte ihm so viel zu erzählen. Sie sprachen eine gefühlte Ewigkeit über ihre gemeinsame Kindheit. Über so manchen Streit, aber auch die vielen schönen
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