GOR-Zyklus 02 - Der Geächtete von Gor
furchtsam verzogene Gesicht.
»Du hast die Waffe gegen mich erhoben«, sagte er. »Nach meinen Regeln darf ich dich jetzt töten.«
Der Barmann und ich sahen entsetzt zu, wie Cabots große feste Hände den Knüppel auseinanderzerrten, die Naht aufplatzen ließen – wie ich vielleicht eine Papprolle zerbrochen hätte. Einige Schrotkörner fielen zu Boden und rollten unter die Tische.
»Er ist betrunken«, wandte ich mich an den Barmann. Ich nahm Cabot am Arm. Seine Wut schien verraucht zu sein, und ich spürte, daß er niemandem schaden wollte. Die Berührung meiner Hand schien ihn aus seiner sel t samen Stimmung zu reißen. Er reichte dem Barmann den verbogenen Knüppel zerknirscht zurück.
»Es tut mir leid«, sagte er. »Wirklich.« Er griff in die Tasche und drückte dem Mann eine Banknote in die Hand. Es waren hundert Dollar.
Wir zogen unsere Mäntel an und gingen in die Febr u arnacht hinaus.
Vor der Bar blieben wir einen Augenblick schweigend im Schnee stehen. Cabot, noch immer halb betrunken, sah sich um, nahm die brutale elektrische Geometrie der großen Stadt in sich auf, die dunklen, einsamen Gesta l ten, die sich durch den leichten Schnee bewegten, die bleichen, leuchtenden Autoscheinwerfer.
»Eine große Stadt«, sagte Cabot, »die aber von ihren Einwohnern nicht geliebt wird. Wer würde hier schon für seine Stadt sterben wollen? Wer würde ihre Grenzen ve r teidigen? Wer würde sich ihretwegen einer Folter unte r werfen?«
»Du bist betrunken«, sagte ich lächelnd.
»Diese Stadt wird nicht geliebt«, sagte er. »Oder sie würde nicht so gebraucht, nicht so gehalten.«
Traurig wandte er sich zum Gehen.
Irgendwie hatte ich das Gefühl, daß ich heute nacht das Geheimnis Tarl Cabots erfahren würde. »Warte!« rief ich ihm nach.
Er wandte sich um, und ich glaubte zu spüren, daß er sich über meinen Ruf freute, daß ihm meine Gesellschaft gerade heute abend viel bedeutete.
Wir gingen zu seiner Wohnung, wo er mir zuerst eine Kanne Kaffee kochte. Wortlos trat er dann an einen Wandschrank und brachte eine Kassette zum Vorschein. Er öffnete sie mit einem Schlüssel, den er bei sich trug, und nahm ein Manuskript heraus, in seiner klaren, en t schlossenen Handschrift verfaßt, mit einer Schnur g e bunden. Er schob mir das Manuskript hin.
Es war ein Bericht über Ereignisse, die sich nach C a bots Worten auf die Gegenerde bezogen, die Geschichte eines Kriegers, der Belagerung einer Stadt und seiner Liebe zu einem Mädchen. Sie kennen diesen Text vie l leicht als GOR – DIE GEGENERDE.
Als ich kurz nach Morgengrauen mit Lesen fertig war, schaute ich Cabot an, der die ganze Zeit am Fenster g e sessen und den Schnee beobachtet hatte.
Er wandte sich um. »Es ist alles wahr, aber du brauchst es mir nicht zu glauben.«
Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Natürlich konnte die Geschichte nicht wahr sein; andererseits hielt ich C a bot für einen der ehrlichsten Menschen auf dieser Welt.
Da fiel mein Blick auf seinen Ring, den ich zwar schon tausendmal vorher gesehen hatte, von dem aber auch in seinem Manuskript die Rede war. Der Ring mit dem Si e gel der Familie Cabot.
»Ja«, sagte Tarl. »Das ist der Ring.«
Ich deutete auf das Manuskript. »Warum hast du mir das gezeigt?« fragte ich.
»Ich möchte, daß jemand Bescheid weiß«, erwiderte Cabot schlicht.
Ich stand auf. Zum erstenmal spürte ich die Wirkung der durchwachten Nacht, des Lesens, des Alkohols und des bitteren Kaffees. Ich lächelte. »Am besten gehe ich jetzt. Dann bis morgen.«
»Ja, auf Wiedersehen«, sagte Cabot und half mir in den Mantel. »Aber morgen sehen wir uns nicht. Ich gehe wieder in die Berge.«
Ja, es war Februar, und er war im Februar vor sieben Jahren verschwunden.
Der Schreck fuhr mir in die Glieder. »Geh nicht«, sagte ich.
»Ich werde gehen«, erwiderte er.
»Dann laß mich mitkommen!«
»Nein. Vielleicht komme ich nicht zurück.«
Wir gaben uns die Hand, und ich hatte das seltsame Gefühl, daß ich Tarl Cabot womöglich nicht wiedersehen würde. Meine Hand krampfte sich um die seine. Ich hatte ihm etwas bedeutet, und er mir, und jetzt sollten wir uns einfach so trennen, nie wieder miteinander sprechen.
Ich fand mich in dem kahlen weißen Flur vor seiner Wohnung wieder und starrte auf die nackte Glühbirne an der Decke. Dann plötzlich wandte ich mich um und rannte zu seinem Apartment zurück. Ich hatte ihn im Stich gelassen, meinen Freund. Wie ich auf diesen G e danken kam, wußte ich nicht. Ich
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