GOR-Zyklus 20 - Die Spieler von Gor
Irgendwie gelingt es den Künstlern, der vorgegebenen Rolle und den traditionell mit ihr verbundenen Erwartungen ihren Stempel aufzudrücken und sie einzigartig zu machen. Es ist meine feste Überzeugung, daß letztlich jede Kunstform kreativ ist.
»Bitte, Herr«, jammerte das Mädchen an meiner Seite.
An der einen Seite der Bühne standen zwei Mädchen und warteten. Nach der Kürze ihrer glockenförmigen Röcke, deren Form sicherlich ein darunter befindliches Reifrockgestell bestimmte, und den kurzen Pluderärmeln zu urteilen, stellten sie vermutlich die frechen Zofen dar, in diesem Fall eine Bina und eine Brigella. Die Brigella war wunderschön. Ich zweifelte keinen Augenblick daran, daß ich, falls ich die Röcke etwas hochschob, Sklavenbrandzeichen entdecken würde. Es ist übrigens Sitte, daß die Sklavinnen ihre Rollennamen als Sklavennamen übernehmen. So wird die Brigella auch hinter der Bühne Brigella gerufen.
Die Röcke sind absichtlich so gefertigt, daß sie verrutschen. Das macht man sich in allen möglichen Szenen zunutze. Zum Beispiel läßt ein tolpatschiger Diener eine Larma nach der anderen von seinem Tablett fallen, die das Mädchen dann nacheinander in vornübergebeugter Stellung aufhebt – während ein anderer Diener genau hinter ihr steht. Während das Mädchen die beiden Diener für ihre Ungeschicklichkeit tadelt, tauschen die ihre Plätze und wiederholen zur Verzweiflung des Mädchens das Mißgeschick. Der Rock kann auch von dem gerissenen Bauern hochgeschoben werden, der angeblich einen verlorengegangenen Ochsen sucht. Das Publikum hat natürlich denselben angenehmen Ausblick wie der glückliche Diener oder der gerissene Bauer.
Neben den Mädchen stand ein ziemlich dicker, mürrisch aussehender Bursche mit langen Koteletten und einer krempenlosen Mütze. So wie es aussah, verhandelte ein Segelmacher mit ihm um die schöne Kurtisane. Der Dicke schüttelte den Kopf. Er wollte sie wohl nicht während einer laufenden Vorstellung von der Bühne weg verkaufen. Der Segelmacher wollte warten. Doch dann schien sich der Dicke zu entschließen, das Mädchen zu behalten, obwohl er offensichtlich versucht gewesen war, das Geschäft zu machen. Zweifellos brauchte er das Geld, aber was sollte er ohne schöne Kurtisane anfangen? Vermutlich spielte sie ebenfalls die Rolle der begehrenswerten Erbin, was oft vorkommt. Ich sah wieder zur Bühne. Die schöne Kurtisane hatte anscheinend nicht mitbekommen, daß sie beinahe den Besitzer gewechselt hätte.
Der Dicke betrachtete nun leicht besorgt die Menge. Bina und Brigella schienen ebenfalls beunruhigt zu sein.
Ich konzentrierte mich wieder auf das Geschehen auf der Bühne.
Die schöne Kurtisane wandte das Gesicht ab und täuschte Gleichgültigkeit vor, was die Werbung des lächerlichen Vaters und des Pedanten anging. Lecchio und Chino, zwei Diener, waren ebenfalls anwesend. Chino, für gewöhnlich der Diener des Vaters oder des Kaufmanns, ist geschmeidig und durchtrieben; er trägt eine schwarze Halbmaske mit geschlitzten Augenlöchern sowie eine mit rotgelbem Rautenmuster versehene Trikothose und ein Oberteil. Lecchio, der Diener des Pedanten, ist klein und fett, ein hilfloses Opfer von Chinos Streichen, das aber auch genausooft bei ihnen mitmacht. Er trägt eine braune Tunika mit einer Kapuze, die er sich manchmal über den Kopf zieht, um seine Verlegenheit zu verbergen.
Auf der Bühne nahm die Farce ihren Lauf. Die Handlung geht wie folgt: Der lächerliche Vater und der Pedant führen ihre Werbung fort. Chino und Lecchio hecken etwas aus. Chino versetzt dem lächerlichen Vater einen Tritt, sieht dann fort und studiert angestrengt die Wolken am Himmel. Kurz darauf tritt Lecchio den Pedanten. Das wiederholt sich einige Male. Bald streiten sich Vater und Pedant wütend, da beide ihren Nebenbuhler für den Angreifer halten. Es scheint, als werde es zum Kampf kommen. Chino und Lecchio weisen ihre Herren darauf hin, daß bei dem Kampf ihre kostbaren Gewänder beschmutzt werden und ihre Geldbörsen verlorengehen könnten. Der Vater und der Pedant geben Gewänder und Geldbeutel ihren Dienern und beginnen einander zu beschimpfen und an den Bärten zu ziehen. Die Diener schlüpfen natürlich auf der Stelle in die Gewänder und stolzieren vor der schönen Kurtisane auf und ab, wobei sie die Geldbeutel an ihren Verschlußbändern umherwirbeln. Die Kurtisane hält die beiden für reiche Freier und geht mit ihnen davon. Der Vater und der Pedant, die ohne Gewänder
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