GOR-Zyklus 20 - Die Spieler von Gor
mir in der Menge nicht abhanden kam.
»Das ist aber nicht der Weg zu den Lustgestellen«, sagte sie.
»Du mußt geduldig sein«, sagte ich.
»Ja, Herr«, stöhnte sie und drückte sich enger an mich. Sie würde geduldig sein, was blieb ihr anderes übrig.
Ich blieb vor einer Bühne stehen, um mir ein Stück einer Farce anzusehen.
Das Mädchen, das die Rolle der schönen Kurtisane spielte, hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit Rowena, die ich vor drei Abenden in Samos' Haus kennengelernt hatte. Sie hatte die gleiche Figur, die gleichen langen blonden Zöpfe. In der klassischen goreanischen Komödie trägt die schöne Kurtisane immer eine Maske; das gilt übrigens auch für Tragödien. Beim klassischen Drama werden alle Frauenrollen von Männern gespielt, was meiner Meinung viel mit der Tradition zu tun hat. Die Goreaner lassen keine Frauen auf die Bühne – zu Unrecht, wie ich finde. Einige sind der Ansicht, daß diese Praxis auf der Tatsache beruht, daß Frauenstimmen in Theatern unter freiem Himmel weniger weit als Männerstimmen tragen. Zieht man jedoch die ausgezeichnete Akustik der meisten dieser Theater in Betracht, in denen eine auf der Bühne fallengelassene Münze noch auf den obersten Rängen deutlich zu hören ist, liegt das Frauenverbot wohl eher in der Tradition oder der Eifersucht begründet als in der Akustik. Außerdem sollte man erwähnen, daß viele der dramatischen Masken über eine Art eingebaute Stimmverstärker verfügen, die die Stimme des Schauspielers unterstützen.
Bleiben die Frauen aus den hohen dramatischen Künsten auch ausgeschlossen, sind sie indessen in der Vielzahl der volkstümlichen Formen des Theaters wie dem Lustspiel, der Burleske, dem Possenspiel, der Farce oder dem Geschichtentanz mehr als angemessen vertreten. Natürlich handelt es sich gewöhnlich um Sklavinnen. Die freien Frauen halten die berufsmäßige Bühnenarbeit und besonders die Darbietung in den volkstümlicheren Formen für unaussprechlich widerwärtig und ungehörig; allein bei dem Gedanken, eine Bühne zu betreten, täuschen sie Entsetzen vor. Wäre es nicht eine schreckliche Sache, sich auf solch skandalöse Weise aller Welt zu zeigen? Das mochte nicht viel anders sein, als öffentlich bei einer Sklavenauktion zur Schau gestellt zu werden. Gewöhnlich wohnen freie Frauen Theatervorstellungen nur inkognito bei.
Wie bereits erwähnt tragen die Schauspieler beim klassischen Drama üblicherweise Masken; bei den volkstümlichen Theaterformen wie dem Possenspiel oder dem Ausdruckstanz verzichtet man darauf, es sei denn, die Handlung verlangt danach. Die Farce ist ein interessantes Zwischending, da einige ihrer Charaktere Masken tragen und andere wiederum nicht. Der lächerliche Vater und der Pedant, der gewöhnlich als Schriftgelehrter dargestellt wird, tragen ebenso wie der furchtsame Kapitän eine Maske, während die jungen Liebenden, die schöne Kurtisane, die begehrenswerte Erbin und andere darauf verzichten. Bei einigen Rollen wie den Dienern oder Mägden kommt es auf die Theatertruppe an, ob sie maskiert sind oder nicht. Viele Charaktere sind feststehende Figuren. Dem Zuschauer begegnen immer wieder reiche Kaufleute, betrunken torkelnde Soldaten, Wahrsager, Schnorrer, Bauern und Sklaven.
Das goreanische Publikum ist mit diesen Typen vertraut und heißt sie immer wieder willkommen. Zum Beispiel der reiche Kaufmann und der gerissene Bauer. Das Publikum kennt sie aus zahllosen Vorstellungen Dutzender Stücke und Farcen, von denen viele aus bestimmten Standardsituationen heraus improvisiert werden. Die Zuschauer kennen sogar Manierismen und Dialekte. Wer ließe den lächerlichen Vater ohne seinen turianischen Akzent, die begehrenswerte Erbin ohne den sanften Akzent Vennas durchgehen, einer Stadt nördlich von Ar? Was wäre der furchtsame Kapitän ohne den wilden Schnurrbart unter der Halbmaske mit der langen Nase, den er immerzu zwirbelt, oder das prächtige Holzschwert, das er hinter sich herzieht? Selbst Gesten und Grimassen sind wohlbekannt und werden ungeduldig erwartet. Diese Vertrautheit verschafft dem Schauspieler natürlich eine solide Ausgangsbasis, auf der er aufbauen kann. Die Figur ist allseits vertraut, noch bevor sie dem Publikum in der Parade der Darsteller zu Anfang der Vorstellung gegenübertritt; man erwartet sie voller Zuneigung und Vergnügen. Insofern ist es erstaunlich, daß sich der Kaufmann des einen Schauspielers vom Kaufmann des anderen Schauspielers überhaupt unterscheidet.
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