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Gordon

Gordon

Titel: Gordon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Templeton
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eingereiht hätte.
    Wir gingen die Old Compton Street entlang, bis sie in den heruntergekommenen Platz mit der ausgebombten Kirche in der Mitte einmündete.
    Gordon sagte: »Ach ja, der Herr unser Gott. Der einzige Mensch in London, der keine Wohnungsnot kennt. Ich muss mir wirklich eine dauerhafte Bleibe besorgen. Etwas in der Harley Street, zwei oder drei Zimmer, wovon eines als Sprechzimmer dienen kann. Und dann ziehen Sie zu mir, mein armes Kind. Sie putzen dann für mich und sind mein Mädchen für alles.«
    Ich hörte zu, ohne ja oder nein zu sagen. Mich befiel eine plötzliche Angst, aus demselben Grund, weswegen ich erleichtert gewesen war, als er mir gesagt hatte, dass er mich nicht heiraten würde.
    Ich fürchtete mich davor, tagein, tagaus mit ihm zusammenzuleben. Es war nicht die Hausarbeit, vor der mir graute; die hätte ich erledigt, wie ich mich all seinen übrigen Forderungen gebeugt hatte. Es war die Furcht vor der Häuslichkeit an sich. Ich ertrug den Gedanken nicht, mit seinem Ärger über einen Lichtschalter, der nicht funktionierte, oder einen fehlenden Knopf an seinem Hemd konfrontiert zu werden. Unsere ganze Beziehung war ein Abenteuer, und wie alle Abenteuer spielte sie sich außerhalb des Alltags ab. Wir steckten beide bis zum Hals im alltäglichen Leben, in dem Schalter nicht funktionieren und Knöpfe abhanden kommen – aber nur, wenn wir nicht zusammen waren. Wenn ich mit Gordon zusammen war, fühlte ich mich wie der Venedig-Tourist, der sich weder vorstellen kann noch will, dass die Einwohner dieser Traumstadt die Gasrechnung bezahlen müssen wie jeder andere auch.
    »Wir müssen zuerst noch etwas trinken, mein armes Kind«, sagte er gerade, »um uns gegen die uns dräuenden Pfeil’ und Schleudern zu wappnen. Sie hat keine Ahnung, was ein anständiger Drink ist. Sie wird uns irgendetwas Damenhaftes vorsetzen, wahrscheinlich eine Bowle mit Früchten darin – etwas aus der guten alten Zeit in Berlin.«
    Wir betraten das Swiss House. Ich sah mich um. Aus Reggie Starrs Clique war niemand da, und ich bedauerte es nicht. Und doch, als ich noch mit Reggie zusammen gewesen war, war ich immer enttäuscht gewesen, wenn wir unter uns geblieben waren. Den Frieden und die Zufriedenheit, die Gordon mir schenkte, hatte ich noch nie zuvor erlebt. Warum das so war, konnte ich mir nicht erklären; durch unsere Beziehung flackerte eine konstante gewittrige Spannung wie Wetterleuchten an einem Sommertag.
    »Ich nehme nichts«, sagte ich, »ich habe schon ziemlich viel Wein getrunken.«
    Gordon bestellte sich einen doppelten Whisky.
    »Wann müssen wir da sein?«, fragte ich. »Es ist schon fast neun.«
    Er schnarrte mit der sehr lauten Stimme eines jähzornigen alten Generals: »Müssen Sie ständig plappern, Frau? Glauben Sie, ich bin blind? Glauben Sie, ich kann die Uhr nicht lesen, oder was? Ich mag mit einem Fuß im Grab stehen, aber beim Zeus, hineinstoßen werden Sie mich nicht!« Er war hocherfreut, als ich errötete, und mehrere Gäste drehten sich an der Bar um und sahen uns in der Hoffnung auf eine saftige Szene fragend und erwartungsvoll an.
    Ich fing an zu lachen. Den schwerhörigen alten General hatte er schon seit einiger Zeit nicht mehr gespielt, und ich war froh, dass er von seinen düsteren Gedanken abgekommen war.
    »Wir gehen hier hoch und nehmen am Ende der Straße einen Bus«, sagte Gordon, als wir das Swiss House verlassen hatten und in die Dean Street eingebogen waren. Er packte mich am Handgelenk.
    Aber anstatt geradeaus weiterzugehen, was uns zur Oxford Street und ganz in die Nähe einer Bushaltestelle gebracht hätte, bog er nach rechts in die Bateman Street ein, und als wir die Ecke zur Frith Street erreicht hatten, bog er, anstatt die Richtung der Oxford Street beizubehalten, noch einmal rechts ab, in Richtung Shaftesbury Avenue.
    »Nein«, sagte ich. Ich blieb stehen. Er verdrehte mir den Arm und ich schrie unterdrückt auf. Die Passanten auf der anderen Straßenseite gingen ihres Weges, ohne sich auch nur umzudrehen. Es gehört mehr als nur ein leiser Schrei dazu, in Soho Aufmerksamkeit zu erregen.
    »Nein, ich will nicht«, sagte ich.
    »Seien Sie still«, sagte Gordon. »Männer müssen handeln, und Frauen müssen weinen.« Und er verdrehte mir wieder schmerzhaft den Arm.
    Wir traten durch den Torbogen, der in den Hof führte, und diesmal presste er mich gegen einen Haufen Planken und zerbrochener Kisten und hielt mich da in halb sitzender, halb lehnender Haltung fest.
    Ich

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