Gordon
Delmain’s es ausgedrückt hätten, ehe mein Erstaunen sich legte.
So rief ich mich nach meiner ersten Schockreaktion – »Wie kann sie es wagen!« – zur Ordnung und musste zugeben, dass »Richard« die naheliegendste Weise war, ihn anzureden. Wie hätte sie ihn sonst nennen sollen? Und dennoch, trotz dieses vernünftigen Einwands konnte ich nicht begreifen, wie sie so unempfänglich dafür sein konnte, was Gordon eigentlich war. Aber was war er eigentlich?
Für mich war er der furchteinflößende, unheimliche, unerbittliche, fordernde und anspruchsvolle Zuchtmeister; er hatte eine sardonische Physiognomie und Geisteshaltung, wie Mephisto, dessen Vergnügen darin besteht, tröstliche Überzeugungen zu zerschlagen und Schmerz zuzufügen – »sardonisch« im wahrsten Sinne des Wortes, das sich ja vom Namen einer giftigen Pflanze herleitet, deren Genuss Gesichtskrämpfe verursacht, die an ein fröhliches Lächeln erinnern.
Darüber hinaus erschien mir Gordons Macht so groß, dass ich mir nicht vorstellen konnte, »es gehörten«, wie man so sagt, auch in seinem Falle »immer zwei dazu« – womit ich meinte, dass er, wie ich felsenfest glaubte, genauso gut jede andere Frau hätte versklaven können. Und eben wegen dieser Überzeugung war ich verblüfft darüber, dass Leonie Beck es nicht zumindest schaffte, die potentielle Bedrohung wahrzunehmen, die von seinem Bann ausging.
Sieht man von solchen Überlegungen ab, schenkte ich dem Inhalt ihres Gesprächs mit Gordon wenig Beachtung. Es kreiste um Gegenstände, die mich nicht interessierten: Sitzungen irgendwelcher Komitees und Sitzungen einer Gesellschaft, Namen von Fachärzten, neue Zulassungen, das Buch, von dem Dr. Crombie gerade eine neue, erweiterte Auflage besorgte, und Gordons Arbeit am »Nervenkrankenhaus für West-End-Krankheiten«, wie er es zu nennen pflegte.
Nur einmal, während eines Spaziergangs im Park, schaffte es der Pekinese, die beiden abzulenken, indem er sich weigerte, von einem Baum wegzugehen, und Leonie Beck sagte mit einem Lächeln und einem Seufzer: »Leider ist er ödipal auf mich fixiert. Er lehnt die Gesellschaft anderer Hunde ab.«
»Sie meinen, anderer Hündinnen«, bemerkte Gordon.
Ich lachte laut los, während sie meine Belustigung mit einem nachsichtigen Lächeln quittierte und, zu Gordon gewandt, sagte: »Ich habe gerade einen sehr traurigen Fall davon in Behandlung. Fünfzig Jahre alt, natürlich homosexuell, und schläft jede Nacht im Doppelbett neben seiner achtzigjährigen Mutter.«
Später, als wir allein waren, fragte ich Gordon: »Warum eigentlich ›natürlich homosexuell‹ Warum konnte er es nicht richtig machen und mit einer Frau schlafen, die wenigstens ein bisschen seiner Mutter ähnelt?« Und Gordon sagte: »Stimmt. Die ihr wenigstens ein bisschen ähnelt. Sie sind die reinste Freude, mein süßes Kind.«
Am Abend der Party war Gordon in umgänglicher, entspannter Stimmung. Er sagte, wir würden bald das Haus verlassen, ein paar Drinks nehmen, essen und anschließend zu Leonie Beck gehen.
Er wanderte im Zimmer auf und ab, wie er es oft tat, wenn er mich nicht seinen Verhören unterzog, und erzählte mir von einem neuen Patienten: »Es ist ein junger Mann, ein sehr munterer Bursche. Durfte zwischen Therapie und Gefängnis wählen, weil seine Eltern Geld haben. Wie Sie wissen, sind Reiche und Arme vor dem Gesetz gleich. Er hatte sich als Wing Commander kostümiert, komplett mit Kriegsverdienstmedaillen, und im Berkeley und im Ritz beträchtliche Zechen auflaufen lassen. Hat einen tollen Sinn für Humor. Er wurde zehn Monate nach seinem Bruder geboren, und seine Mutter wollte ihn nicht haben.«
Er verstummte, blickte aus dem Fenster, drehte sich um und fügte hinzu: »Kein Kind mag das Gefühl, unerwünscht zu sein. Um das zu kompensieren, stellen solche Leute als Erwachsene die seltsamsten Dinge an.«
Ich sagte nichts.
Er fuhr fort: »Ich glaube, ich werde ihn an Bruce abtreten. Langsam habe ich von ihm genug. Neulich habe ich Bruce gesehen. Er ist vom Ausgang des Heath-Prozesses angewidert. All die Sachverständigengutachten für die Katz; an die Jury aus zwölf biederen englischen Krämern sind sie einfach verschwendet, und am Richter nicht minder. Sie sagen: ›Wenn er nicht wusste, was er tat, dann ist er geisteskrank. Und wenn er wusste, was er tat, dann ist er geistig gesund.‹ Was sie nicht verstehen können, ist, dass er ganz genau wusste, was er tat, und gleichzeitig unfähig war, es nicht zu tun.
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