Gordon
ein Kaktus stand. Es war der hässliche, selbstverliebte Bauhaus-Stil der zwanziger Jahre, an den ich mich noch immer von der Wohnung eines Cousins meiner Mutter her erinnerte, der sich viel auf seine avantgardistischen Ansichten zugute gehalten hatte und ein Freund Kafkas gewesen war, zu einer Zeit, als noch keiner aus meiner Familie den Namen je gehört hatte.
Leonie Beck kam mehrmals in unsere Nische, um nachzusehen, ob sie unsere Gläser nachfüllen sollte, und jedes Mal fragte sie mich in besorgtem Flüsterton, ob es mir gut gehe. Ich war mir sicher, dass sie dies teils aus aufrichtiger Sorge und teils aus Gehässigkeit tat, um sicherzustellen, dass ich mich weiterhin unbehaglich fühlte, und ich dachte verächtlich, wie unbedarft sie doch war und dass ich gerade deswegen glücklich war, weil Gordon mich beschämt hatte und gezeigt hatte, dass ich sein Eigentum war.
Um halb zwölf forderte Gordon mich auf aufzustehen.
»Wir müssen uns auf die Socken machen, abzotteln, verduften«, sagte er, eine seiner Parodien der Fröhlichkeit gebend, mit übertrieben gespielter Jovialität. »Mein armes Kind ist so müde, dass es ganz blass ist«, fügte er hinzu.
Es war das erste Mal, seit wir uns gesetzt hatten, dass er mich ansah, und ich senkte den Kopf, beschämt, dass er mich durch den Schmutz gezerrt, beschämt, dass er mich in diesem Zustand der Erniedrigung den Augen der Öffentlichkeit preisgegeben hatte, während in meinem Herzen die Befriedigung darüber aufwallte, ihm hilflos ausgeliefert zu sein.
Am folgenden Morgen sagte ich, als Gordon meinte, ich solle mich anziehen und er würde mich nach Hause begleiten: »Aber ich werde ohne Strümpfe gehen müssen; so fällt es weniger auf. Und mein Unterkleid kann ich auch nicht anziehen, weil es unten herausschauen würde. Und ich sehe furchtbar aus mit dem abgerissenen Saum, der so halb herunterhängt. Aber da kann man im Moment wohl nichts machen.«
»Gott blickt ins Herz und nicht auf diese wertlosen Lumpen, mein armes Kind«, bemerkte er mit salbungsvoller, vor Ergriffenheit bebender Stimme.
Ich lachte laut los. Er sah mir zu, während ich mir die Zöpfe flocht, und sagte: »Wissen Sie, vor einiger Zeit bin ich mit Leonie Beck ausgegangen und habe mich betrunken. Dann sind wir zu ihr, und sie hat mich ins Bett geschleift. Und ich konnte nicht. Ich konnte einfach nicht.«
»Das ist unmöglich!«, rief ich aus. »Sie – und nicht können?«
»Nein, ich konnte nicht«, sagte er. »Ich kann diese fettärschigen Frauen einfach nicht ausstehen.«
»Aber trotzdem, ausgerechnet Sie!«, sagte ich ungläubig.
»Sie zeigte sich sehr um mich besorgt«, fuhr er fort, »so gütig, so verständnisvoll, so mitfühlend. Sie fing an, mich, äußerst taktvoll natürlich, über mein Versagen auszufragen – o ja, lachen Sie nicht! –, und ließ mich wissen, wie Leid es ihr meinetwegen tue, und gab mir zu verstehen, ich sollte mich deswegen in Behandlung begeben.«
»Ich bin sprachlos. Ich kann’s nicht glauben«, sagte ich. »Mein Gott, wenn ich daran denke – «
»Wohlgemerkt, ich nahm das alles sehr demütig hin«, sagte er. »Ich ließ den Kopf hängen, und ich murmelte irgendwas, und ich sagte ihr, wie unglücklich ich wegen meiner Potenzprobleme sei. So ist das. Hatte ich je? Nein, noch nie. War ich unglücklich? Kreuzunglücklich war ich.«
»Nein«, sagte ich, »ich weigere mich – ich kann nicht – es ist einfach – «
Ich hatte meine Flechtenkrone fertig gewunden; ich drehte mich um und sah ihn an.
Geistesabwesend ins Leere starrend, sagte er, so als spräche er mit sich selbst: »Da haben Sie’s, da sehen Sie, wie das Leben so spielt, mein armes Kind. Für Sie bin ich ein Sexmonster, und für Leonie Beck bin ich impotent.«
14. KAPITEL
N ICHT NUR MEINE K LEIDER , auch meine Schuhe hatten an jenem Abend von Leonie Becks Party Spuren meiner Demütigung davongetragen. Die Spitzen meiner scharlachroten Schuhe waren zerschrammt und dunkel vor Schmutz, und es dauerte zwei Wochen, bis ich einen Schuster fand, der sich bereit erklärte, sie zu restaurieren, und weitere vier Wochen, bis es ihm tatsächlich gelang, indem er den Schaden unter Rosetten aus scharlachrotem Leder verbarg. Es war genau das, erklärte er mir – die Schwierigkeit, ein Leder in der passenden Farbe zu finden –, was ihn so viel Zeit gekostet hatte.
Es war ein feuchter, milder, trüber Tag gegen Ende November, als ich meine roten Schuhe zum ersten Mal wieder
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