Gordon
sagte ich.
»Mein süßes Kind.«
13. KAPITEL
A LS ICH EIN PAAR T AGE SPÄTER um sechs Uhr nachmittags am Portman Square ankam, eröffnete mir Gordon, Leonie Beck habe ihn für den Abend zu einer Party eingeladen, und sie habe gesagt, er könne mich mitbringen.
»Ach, wenn Sie mich nur angerufen und es mir rechtzeitig gesagt hätten«, sagte ich, »dann hätte ich etwas Ordentliches angezogen!«
»Es wird nicht so eine Party«, sagte er.
Auch ohne seine beruhigende Bemerkung wäre ich mit der Situation ganz zufrieden gewesen.
Ich kannte Leonie Beck oberflächlich, und ich wusste, dass eine Möglichkeit, Leute vor den Kopf zu stoßen, darin besteht, bei ihren Partys zu schlicht angezogen zu erscheinen; und ich freute mich beim Gedanken, dass ich nicht einmal ein Kleid trug, sondern lediglich eine blassblaue Baumwollbluse mit Perlmuttknöpfen, einen violett, gelb und blassblau gemusterten Tartan-Rock, violette Schuhe mit stumpfer Kappe mit dazu passender Handtasche und den weißen Pelzmantel.
Dass mir die Vorstellung gefiel, Leonie Beck vor den Kopf zu stoßen, war unverständlich, wenn man bedenkt, dass sie zu den zwei Gelegenheiten, wo ich sie bislang getroffen hatte, mir gegenüber sehr nett gewesen war.
Sie war eine Freundin Gordons und widmete sich mit Leib und Seele der Psychoanalyse. Sie stammte aus Berlin, war Ende dreißig und ledig. Mit ihrer üppigen Büste und ihren vollen Armen besaß sie jene Art von Molligkeit, die eine Aura von Wohlgenährtheit und Wohlstand ausstrahlt. Sie hatte ein breites flaches Gesicht mit einer winzigen Nase und zur Farbe gelblichen Elfenbeins gebleichtes welliges Haar; und ihr Pekinese wies nicht nur eine bestürzende physiognomische Ähnlichkeit mit ihr auf, sein Fell entsprach auch farblich so exakt ihrem Haar, dass er seinem Frauchen eine Perücke hätte liefern können. Ihre Kleider waren reich plissiert und gerafft, um die Schwere ihres Busens und ihrer Hüften zu kaschieren, und sie liebte solche Accessoires, die ich verabscheute, wie vergoldete Clips, die man über einer Strickjacke tragen kann, um zu verhindern, dass sie einem von den Schultern rutscht, oder ein goldenes Gebilde in Form einer überformatigen Büroklammer, mit dem sie ihre Handschuhe an ihrer Handtasche befestigte.
Prinzipiell bewunderte ich sie als eine erfolgreiche berufstätige Frau, ebenso wie ich die loyale Miss Smythe bewunderte. Gordon sagte, sie sei in ihrem Beruf »nicht allzu schlecht« und sie »komme damit durch, dass sie sich mütterlich gebe«. Manchmal ging er mit ihr ins Konzert; beiden gefiel moderne ernste Musik, die ich weder mochte noch verstand.
Er hatte mich einfach als »Louisa« vorgestellt, ohne irgendwelche weiteren Erklärungen zu liefern. Ich vermutete, dass er sie, hätte sie Fragen gestellt, auf dieselbe Weise abgefertigt hätte, wie er es bei der Frau seines Psychiaterkollegen getan hatte, indem er die Wahrheit sagte und sie wie einen Witz klingen ließ – dass er mich auf einer Gartenbank kennen gelernt hatte.
Leonie Becks Verhalten mir gegenüber war freundlich und ungezwungen, mit diesem Hauch besorgter und fürsorglicher Mütterlichkeit, der ihr in ihrer Praxis so gute Dienste leistete. Jede meiner Äußerungen – und ich tat nur wenige und nahe liegende – bedachte sie mit dem gurrenden Ausdruck ihres Beifalls und Verständnisses, glasiert mit einem Zuckerguss aus Weisheit.
Beispielsweise erwähnte sie, sie habe ihre Migräne dadurch kuriert, dass sie die Schokolade aus ihrer Ernährung gestrichen habe, und um etwas Nettes zu sagen, fügte ich eilig hinzu, ich wisse, wie niederschmetternd Anfälle dieser Krankheit sein könnten, da auch meine Mutter darunter gelitten habe.
Sie sagte: »Wie reizend, dass Sie so einfühlsam sind! Die Migräne ist eines dieser Leiden, bei denen der Körper geduldig ertragen muss, was für die Seele nicht auszuhalten ist.«
Ich verbiss es mir zu fragen, warum es in ihrem Fall die Schokolade und im Fall meiner Mutter die überlastete Seele gewesen war. Oder sie bewunderte spontan meine roten Schuhe: »So eine fröhliche Farbe, so erfrischend in all der Tristheit, die einen umgibt!«, woraufhin sie mich in die Liga der Frauen gegen die Männer zog: »Aber natürlich weiß Richard es nicht zu würdigen. Oder etwa doch?«
Ja, sie nannte ihn »Richard«. Als ich es das erste Mal hörte, verschlug mir ihre Verwegenheit den Atem, und ich »musste zweimal kräftig schlucken«, wie meine cineastischen Freunde im
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