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Gordon

Gordon

Titel: Gordon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Templeton
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ich meine, bei denen man sie nicht als Männer betrachtet: den Friseur, den Schneider, den Kellner und den Arzt. Weil sie alle Frauen mehr oder weniger unbekleidet sehen und es keine Rolle spielt.«
    Ich hielt inne. Ich dachte, er würde wieder lachen. Aber er blieb still.
    Dann erzählte ich weiter von meiner Großmutter und meiner Mutter und von den Auseinandersetzungen, die sie immer wegen der Dienstboten gehabt hatten, und davon, dass meine Mutter gern herumschnüffelte und fettige ungespülte Töpfe in den Küchenschränken entdeckte und die Köchin damit so sehr ärgerte, dass diese schließlich kündigte und ging, und dass meine Großmutter versucht hatte, sie davon abzuhalten, Ärger zu machen, und dass es ihr lieber gewesen war, gewisse Dinge zu dulden, als die Dienstmädchen zu verlieren.
    Crombie sagte: »In Wirklichkeit reden Sie doch von Ihrem eigenen Problem, nicht wahr? Sie bieten mir unterschiedliche Strategien an. Sollte man einen endgültigen Bruch vermeiden und sich mit den Dingen abfinden, so wie sie sind, und weitermachen, oder sollte man das Handtuch werfen und ganz von vorn anfangen? Was würden Sie gern tun, wenn Sie könnten?«
    »Ich würde gern wieder allein leben«, sagte ich.
    »Und was ist mit der Liebe?«, fragte er.
    Ich wurde böse. »Die muss von selbst kommen«, sagte ich, »man kann ihr nicht hinterherlaufen.« Und als er nichts sagte, fügte ich hinzu: »L’amour ne se commande pas.«
    »Wollen Sie Liebe?«, fragte er.
    »Ja, natürlich«, sagte ich.
    »Oder möchten Sie zurückkehren und frustriert weiterleben wie bisher?«, fragte er.
    »Nein«, sagte ich.
    Er sagte: »Jetzt sind Sie sehr lebendig, und ich will nicht, dass Sie sterben. Ich meine das natürlich nicht im wörtlichen Sinne. Ich will nicht, dass Sie sich hinsetzen und Ihre Erinnerungen Revue passieren lassen und sagen: ›Das habe ich gehabt, und mehr will ich nicht.‹ Sie wollen doch mehr, oder?«
    »Ja«, sagte ich.
    »Mehr wollte ich nicht hören«, bemerkte er.
    Als ich Crombie das nächste Mal – zur vorletzten Sitzung – aufsuchte, bat ich ihn, die Rechnung fertig zu machen.
    »Ich weiß wirklich nicht, was ich Ihnen berechnen soll«, sagte er.
    »Berechnen Sie Ihren vollen Satz«, sagte ich aufbrausend, »seien Sie kein Idiot! Ich wäre nicht zu Ihnen gekommen, wenn ich Sie mir nicht hätte leisten können!«
    »So sei es denn«, sagte er. »Jetzt legen Sie sich hin.«
    Am letzten Tag empfing er mich nicht anders als sonst und forderte mich auf, mich hinzulegen.
    »Heute ist ein schöner Tag«, sagte ich, »sehr mild für die Jahreszeit, und ich habe ein weißes Wollkleid angezogen. Es ist extravagant, im Winter weiß zu tragen. Weiß ist die Farbe der Impotenz, denn wenn man nicht schreiben kann, bleibt das Papier weiß und leer. Das ist natürlich nicht von mir, das ist von Mallarme. Auch Mallarme hatte, was langes Haar bei Frauen angeht, einen richtigen Fimmel. Er liebte es. Ich habe lange Haare, aber die nützen mir nichts. Aber bei meiner Mutter war es etwas anderes. Als kleines Mädchen durfte meine Mutter einmal im Jahr, zu Kaisers Geburtstag, ihr langes Haar offen tragen, Franz Joseph war sehr alt, er regierte zweiundsechzig Jahre lang, aber jetzt ist er tot. Für mich ist es zu spät.«
    »Reden Sie weiter«, sagte Crombie.
    »Ich kann nicht«, sagte ich, »mein Kopf ist völlig leer. Wie das weiße Papier. Ich bin ohnmächtig.«
    »Lassen Sie Ihre Gedanken schweifen«, sagte er.
    »Gestern habe ich ein kleines Abschiedsessen gegeben«, sagte ich, »für mich und meine Cousine Sylvia.« Und ich referierte eine lustige Geschichte, die sie mir erzählt hatte: Einer unserer Onkel wachte einmal mitten in der Nacht auf, nachdem er im Traum ein Gedicht verfasst hatte. Er stand sofort auf und beeilte sich, es aufzuschreiben, wobei er sich immer wieder sagte: »Ich bin wirklich unglaublich begabt!« Dann legte er sich wieder schlafen. Am nächsten Morgen sah er sich sein Werk an. Es war ein ziemlich bekanntes Gedicht von Goethe.
    »Wovon handelte es?«, fragte Crombie.
    Ich sagte: »Im Wesentlichen heißt es da, wenn man sich selbst daran hindert, das zu tun, was man tun möchte, ist man nur ein trüber Gast auf der dunklen Erde.«
    »Reden Sie weiter«, sagte er.
    »Es gibt noch ein anderes, viel eigenartigeres Gedicht von Goethe«, sagte ich, »man findet es nie in den offiziellen Werkausgaben. Es handelt von ihm selbst, davon, dass er in den unpassendsten Augenblicken erregt wird, zum Beispiel wenn er

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