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Gorian 2

Gorian 2

Titel: Gorian 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Bekker
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über Land und Meer fegte, konnte man beim Blick über die Reling ermessen. Das Himmelsschiff flog zumeist an der zerklüfteten Steilküste Caladraniens entlang, und dort bogen sich die Bäume, wurden teilweise mit ihrem Wurzelwerk aus dem Boden gerissen und durch die Luft geschleudert. Hier und dort standen auch kaum von der Umgebung zu unterscheidende Burgen vereinzelt lebender Caladran. Noch blieben sie unberührt von den Unbilden aus dem Norden, geschützt durch Magie wie die Himmelsschiffe, die in der Nähe dieser Residenzen vor Anker lagen. Aber dass man manche dieser Schiffe an Land gebracht hatte, wies darauf hin, wie ungewöhnlich dieses Klima war. Wilde Strömungen und Strudel waren zu sehen, und immer wieder bewegten sich Wellen gegen die Windrichtung.
    »Die Wetterzauber, die einst das Klima der Inseln bezähmten, können dem Sturm nicht mehr standhalten«, stellte Orawéen fest, als sie dies alles sah.
    »Darum bemüht man nun die Magie der Meeresströmungen«, erkannte Gorian.
    »Ja, aber es ist lange her, dass wir sie anwenden mussten. Das war noch zu jenen Zeiten, da Caladir auf dem Thron saß.«
    »Gibt es nicht noch genügend Magier, die damals schon gelebt haben? Euer Volk ist doch fast unsterblich.«
    »Auch die Unsterblichen vergessen. Und auch die wichtigste Erkenntnis kann in die Tiefen des Geistreichs versinken.
Die wenigsten von uns könnten der Zeit widerstehen, ohne zu vergessen.«
    Als die Hoffnung des Himmels schließlich die Meerenge zwischen Caladranien und der Insel Pela erreichte, griff ein Schwarm Eiskrähen an.
    Es waren Tausende, und niemand hatte sie kommen sehen, denn ihre gefiederten Körper hoben sich kaum gegen die ewige Dämmerung ab, die den ganzen Tag über herrschte. Zudem war die Sicht schlechter geworden, weil der Schneefall immer dichter geworden war.
    Mit durchdringendem Kreischen stürzte sich der Schwarm im Sturzflug auf das Schiff, doch die Vögel prallten reihenweise an dem Schutzschirm ab. Manchmal verfing sich auch eines der Tiere in dem magischen Schirm, dann umgab ein blaues Leuchten den Vogel, der krächzende Laute ausstieß, ehe er davongeschleudert wurde. Taumelnd gewann die Krähe schließlich wieder an Höhe, um sich einer neuen Angriffswelle anzuschließen.
    »Ich habe bereits König Abrandirs Großvater gedient«, äußerte Lendaris. »Aber seit ich an Deck dieses Schiffes stehe, habe ich so etwas noch nicht erlebt.«
    Gorian, der im Reich des Geistes gewesen war, begriff sofort, was der Steuermann damit zum Ausdruck bringen wollte. Es war viele Zeitalter her, dass jemand dreist genug gewesen war, ein Himmelsschiff der Caladran anzugreifen. Den Krieg mit den Greifenreitern hatte schließlich auch Lendaris noch nicht erlebt.
    »Dieser Angriff gilt dir«, sagte Meister Thondaril zu seinem ehemaligen Schüler. »Morygor weiß, dass etwas geschehen wird, was für ihn zu einer entscheidenden Niederlage führen kann. Er will um jeden Preis verhindern, dass wir Pela erreichen.«

    Eine der Eiskrähen schaffte es schließlich sogar, den Schirm zu durchdringen. Mit dem Schnabel voran schoss sie pfeilgleich auf Gorian zu, so als wollte sie Thondarils Worte bestätigen.
    Blitzschnell riss der zweifache Ordensmeister sein Schwert hervor und fing das Tier nur eine Handbreit vor Gorians Stirn ab. Seine Klinge zerteilte es, und Krähenblut spritzte aufs Deck.
    »Ich hoffe nicht, dass der Aufenthalt im Reich des Geistes deiner Fähigkeit zur Voraussicht geschadet hat«, sagte Thondaril, und ein leichter Vorwurf schwang in seiner Stimme.
    »Ich habe den Angriff des Vogels ebenso vorausgesehen wie Euer Eingreifen«, erwiderte Gorian.
    Meister Thondaril steckte das Schwert wieder ein. »Du solltest dich in Zukunft auf niemanden mehr verlassen, Gorian. Auch nicht auf mich.«
    Hunderttausende von Eiskrähen umlagerten mittlerweile das Schiff. Auf einmal stürzten sie sich alle zugleich gegen den magischen Schirm, der die Hoffnung des Himmels umgab. Der Schirm konnte sie nicht mehr zurückwerfen, weil zu viele von ihnen nachdrängten, und wären nicht aufgrund des dämmerigen Tageslichts magische Schiffslaternen entzündet worden, hätte vollkommene Dunkelheit an Bord geherrscht. Körper an Körper drängten die Eiskrähen gegen den Schirm und umschwirrten das Schiff wie ein Bienenschwarm, der sich auf eine einzelne Hornisse stürzte, um sie mit ihrer Körperwärme zu töten. Dieses Bild entstand vor Gorians innerem Auge – eine jener vielen, unbedeutend erscheinenden

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