Gorian 2
zu sagen oder auch nur einen vernünftigen Gedanken zu formulieren. Sie blieb in jeder Hinsicht stumm, geistig und sprachlich.
Torbas registrierte dies alles mit unbewegtem Gesicht.
»Es wird alles gelingen«, sagte er auf einmal, und genau in diesem Moment ging ein Ruck durch Sheeras Körper, und sie sah auf. Zwischen den blicklosen, von Schwärze erfüllten Augenpaaren der beiden schien für einen kurzen Moment eine Kraft wirksam zu werden, die sie aneinander band.
»Seid gegrüßt, mein König!« Ein Caladran, der das Amulett des Statthalters von Pela trug, ging auf Abrandir zu und verneigte sich tief.
»Bringt uns zum Spiegel«, forderte Abrandir »Wir haben keine Zeit zu verlieren.«
»Sehr wohl, mein König«, antwortete der Statthalter von Pela.
Er führte sie zum nächsten Schacht. An den Zauber der Gewichtslosigkeit hatte sich inzwischen selbst Zog Yaal gewöhnt. Allerdings trug er, seit er diese Caladran-Magie kennengelernt hatte, stets eine aufgewickelte Seilschlange wie eine Schärpe um den Oberkörper, damit er ihr im Notfall den Befehl geben konnte, sich auszurollen und an der nächsten Wand zu befestigen. »Sicher ist sicher«, hatte er dazu gesagt, als Meister Thondaril ihn darauf angesprochen hatte. »Ich mag es eben nicht, der Spielball fremder Magie zu sein.«
Über die Schächte, die den Stadtbaum von Pela durchzogen wie Venen einen Körper, gelangten sie auf jene höchste Astgabelung, wo der Hohlspiegel stand.
Ein magischer Schirm wölbte sich über den Platz, hielt die Auswirkungen von Wind und Wetter fern und erschwerte es zudem, den Hohlspiegel aus der Ferne zu erspähen. Nur jemandem mit der magischen Begabung eines Meister Shabran war es möglich, ihn aus der Entfernung heraus überhaupt auszumachen.
Der Spiegel befand sich auf einem Turm, der in der Mitte
des Gabelungsplatzes aufragte und einen vollkommenen Bruch mit der fließenden, organisch wirkenden Architektur der Caladran darstellte. Denn anders als die astähnlichen Fortsätze des Stadtbaums wirkte er nicht wie aus dem Stein herausgewachsen; es war auf den ersten Blick zu erkennen, dass er auf andere Weise entstanden war, errichtet von anderen Baumeistern, die vergleichsweise grob vorgegangen waren und deren Fähigkeiten mit Sicherheit weit hinter denen zurückstanden, die die Stadtbäume geschaffen hatten.
Sogleich forschte Gorian in den Erinnerungen aus dem Reich des Geistes nach dem Grund dafür, aber er fand nichts.
König Abrandir schien seine Gedanken zu erahnen. Er lächelte wissend und erklärte: »Es waren Menschen und Oger, die diesen Turm erbauten.«
Gorian trat an das Gemäuer heran und berührte es. »Damit möglichst wenig davon ins Reich des Geistes dringt.«
»So ist es. Die Bauten der Baumeister Mituliens gelten bei Eurem Volk als filigran. Vergleicht man sie mit den primitiven Hütten, in denen der Großteil der Menschen haust, mag das sogar stimmen. Und immerhin sind ihre Bauwerke einigermaßen stabil, und im Gegensatz zu unseren Stadtbäumen wurde dieser Turm nicht für die Ewigkeit, sondern nur für diesen Augenblick errichtet.«
Gorian sah den Caladran-König an. »Ihr verfolgt Euren Plan offenbar schon länger, als ich bisher ahnte, und das mit vorausschauender Konsequenz.«
Abrandir nickte, dann sagte er: »Nun folgt mir. Als Mensch dürfte es Euch keine Schwierigkeiten bereiten, die Stufen einer Treppe zu erklimmen, während wir Caladran Treppen nur aus den Überlieferungen unserer Vorfahren kennen.«
»So gibt es hier keinen Zauber der Gewichtslosigkeit?«
»Nein. Und den magischen Schirm, der uns vor dem Wind schützt, werden wir gleich auflösen. Nichts soll jene Magie stören, die nun eingesetzt werden soll.«
»Was werden wir tun müssen?«
»Ihr werdet es gleich erfahren. Doch ich bin überzeugt, dass Euch vieles davon nicht überraschen wird.«
In der Ferne tauchten dunkle Schatten am dämmrigen Horizont auf.
»Himmelsschiffe!«, stellte Orawéen fest. »Es sind mindestens hundert!«
»Es werden noch mehr werden«, erklärte der Statthalter von Pela. »Ihr habt die schlechte Nachricht noch nicht erhalten?«
Orawéen wurde bleich. »Wir haben die Verbindung zum Reich des Geistes gemieden und uns vollkommen auf den Plan und seine Vorbereitung konzentriert.« Sie schluckte schwer; der Statthalter von Pela musste gar nicht aussprechen, was geschehen war. »Oh, bei den Vergessenen Göttern unserer Vorfahren …«
»Was ist geschehen?«, mischte sich Meister Thondaril ein, der auf
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