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Gorian 2

Gorian 2

Titel: Gorian 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Bekker
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dass es Elbenrunen waren, mit denen die Seiten fein säuberlich und mit filigraner Handschrift beschrieben waren. Es handelte sich also um kein Buch, das mit einer Druckpresse hundertfach vervielfältigt worden war, sondern um ein wertvolles Einzelstück, selbst dann noch, wenn es sich um eine Kopie handelte, denn ein einzelner Schreiber hatte daran vermutlich mehrere Jahre gearbeitet.
    Der Namenlose erhob sich, nahm den Folianten, ging zu einem Regal in der Nähe und schob ihn in eine Lücke zwischen den anderen wertvollen Büchern, die in diesem Gewölbe aufbewahrt wurden.
    »Ich bin im Besitz eines Dokuments, das mich ermächtigt, mir jede Schrift aushändigen zu lassen, die ich aus Eurer Bibliothek erwähle«, erklärte Thondaril mit spürbarer Ungeduld. Er holte das Dokument hervor und reichte es dem Namenlosen.

    Dieser aber machte keine Anstalten, es entgegenzunehmen, sondern fragte nur: »Was soll ich damit?«
    »Dieses Schriftstück verpflichtet Euch ebenso wie den Königlichen Verwalter von Felsenburg, unseren Forderungen Folge zu leisten.«
    »Ich fühle mich an derartige Verpflichtungen nicht gebunden. Insofern hat dieses Schriftstück für mich keine Bedeutung.«
    Thondaril lag eine scharfe Entgegnung auf der Zunge, aber der Namenlose hob die Hand und bedeutete ihm zu schweigen.
    »Ich weiß, was Ihr sagen wollt. Und ich weiß, was Euer Plan ist. Ihr wollt zu den Inseln der Caladran und sie mit einem Geschenk aus dieser Bibliothek als Bündnispartner gegen Morygor gewinnen.«
    »Und was ist dagegen einzuwenden?«
    »Nichts – außer dass Ihr Euch vielleicht falsche Vorstellungen von den Caladran macht.«
    »Das lasst getrost meine Sorge sein!«
    »Glaubt Ihr wirklich, Ihr könnt sie damit dazu bewegen, ihren Hass und ihre Verachtung aufzugeben? Die Caladran sind nachtragend und selbstsüchtig. Sie interessieren sich einzig und allein für ihre eigenen Interessen und für sonst gar nichts. Was mit dem Rest Erdenrunds geschieht, ist ihnen so gleichgültig wie nur irgendetwas.«
    »Ihr sprecht über Euer eigenes Volk, nicht wahr?«, mischte sich Gorian ein, und er sagte es mit ruhiger, klarer Stimme.
    Für einige Augenblicke herrschte tiefes Schweigen. Der Namenlose starrte Gorian an, und der junge Ordensschüler spürte, wie eine fremde Kraft seinen Geist zu durchforschen versuchte.
    Dann trat der Namenlose auf Gorian zu, dessen Augen
schwarz wurden, denn er musste sich aufs Höchste konzentrieren, um dem geistigen Einfluss seines Gegenübers standzuhalten. »Was geschieht, geschieht«, sagte der Bibliothekar. »Ich habe die Hoffnungen, die Linien des Schicksals nachhaltig beeinflussen zu können, vor langer Zeit aufgegeben.«
    »In Bälde wird auch dieser Ort ein Teil des Frostreichs werden«, hielt Gorian dagegen. »Kümmert Euch das auch nicht? Wollt Ihr ohne Gegenwehr untergehen?«
    »Du bist jung, und deine Natur als Mensch verwehrt es dir, wirklich alt und weise zu werden. So wird dir die Gnade vollkommener Gleichgültigkeit kaum je zuteilwerden.«
    Zu Thondarils Überraschung und der seiner Mitschüler sagte Gorian, ohne dass sich dabei seine Stimmlage veränderte: »Ihr seid jener Caladran, den man den Namenlosen Renegaten nennt. Ich spüre Eure Magie, Eure Aura, die der Morygors so sehr ähnelt. Und es ist nicht der innere Frieden, den Ihr gefunden habt. Nein, das Mitgefühl, das Euch zum Ausgestoßenen machte, erstarb in all den Jahren. Nicht einmal Euer eigenes Schicksal kümmert Euch noch.«
    »Das liegt daran, dass ich die Vergänglichkeit allen Seins und die Vergeblichkeit aller Taten erkannte, junger Freund«, erwiderte der Namenlose und schlug die Kapuze seiner Kutte zurück. Tatsächlich kam darunter der Kopf eines Caladran zum Vorschein. Die Haut war bleich, fast wie bei einem Toten, und zwei spitze Ohren stachen durch das schlohweiße Haar. Er hob eine Hand, in der ein grelles Licht entflammte. Es wurde bläulich und beschien Gorians Gesicht. »So viel Kraft bei einem, der kein Abkömmling der Caladran ist. Das ist ungewöhnlich.«
    Wieder hatte Gorian das Gefühl, dass ein fremder Geist seine Seele zu erforschen versuchte, und diesmal konnte er nichts dagegen ausrichten.

    Thondaril wollte eingreifen, doch als er sich in Bewegung setzte, richtete der Namenlose die freie Hand in seine Richtung, und der Meister der Magie und des Schwertes erstarrte.
    Dann verlosch das bläuliche Licht.
    Der Namenlose senkte die Arme. »Ich weiß jetzt vieles, was mir bisher verborgen war. Und ich werde

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